Ein Volksfeind

Dem heimischen Stadttheater ist mit seiner Inszenierung von Ibsens Volksfeind zum ersten Mal gelungen, dass ich nach dem Stück mindestens genauso heftig über die Mechanismen unserer Gesellschaft wie über die Logik des Stücks debattiert habe. Die Leistung der Schauspieler war nur am Rande ein Thema und das ist vielleicht das Besondere: Sie haben etwas transportiert und sich nicht selbst produziert. Vielleicht soll Theater so sein.

Johannes Bruggaier vom Südkurier knüpft in seiner Besprechung  an die Radikalisierung der Pegida-Bewegung an. Daran hätte ich zwar nicht im Entferntesten gedacht. Aber so ist das mit guten Stoffen – jeder entnimmt ihnen etwas (anderes). Auch ich musste an die zunehmende Verschärfung des gesellschaftlichen Diskurses denken, die wir momentan erleben. Und darum geht es in dem Stück. Aktualität ohne verkrampfte Aktualisierung – noch ein Kompliment, das ich loswerden muss.

Worum geht es in dem Stück? Dr. Thomas Stockmann ist Badearzt und entdeckt, dass das Wasser im neuen Kurbad verseucht ist und will dies öffentlich machen, denn die Gesundheit der Kurgäste ist gefährdet. Sein Bruder Peter ist Bürgermeister des Ortes und will die Veröffentlichung verhindern, denn der Ort ist wirtschaftlich vom Kurbetrieb abhängig.

Wo man sich eine sachliche Interessensabwägung wünscht, erlebt man eine kontinuierliche Radikalisierung, in der persönliche Befindlichkeiten eine zentrale Rolle spielen. Thomas ist von Peter abhängig. Ohne ihn wäre er mittellos, seinen Beruf und Wohlstand verdankt er Peter und ist ihm aber keineswegs dankbar, sondern verachtet ihn.

Wenn ich meine Gespräche zum Stück zugrunde lege, nehme ich an, dass die anfänglichen Sympathien nicht bei jedem Zuschauer gleich verteilt sein dürften. Thomas ist der unerschrockene Skandalaufklärer, von der Sache her Sympathieträger, der auch gleich von Presse und Kleinbürgern unterstützt wird, wäre da nicht sein überzogenes Triumphgehabe. Peter ist der Angegriffene und Ausgegrenzte und darum haben wir Mitleid, wäre da nicht die Tatsache, dass er den Skandal vertuschen möchte. Geht ja gar nicht.

Je mehr der Bürgermeister die Konsequenzen verdeutlicht, die es hätte, die Verunreinigung an die große Glocke zu hängen, desto mehr werden Presse und die Kleinbürger verunsichert. Auch Thomas hält für einen Moment inne, man merkt, dass er die Konsequenzen seines Tuns nicht zu Ende gedacht hat. Aber dann entscheidet er sich und zieht sein Ding durch. Doch der Gegenwind wird stärker, bis die Öffentlichkeit sich komplett gegen ihn stellt und ihn zum Volksverräter stempelt. Thomas verspottet nun die Masse als dumm und singt das Hohelied der Eliten, die vorangehen müssen. Spätestens hier meldet sich unsere politische Korrektheit und unterbindet weiteres Sympathisieren.

Doch mit der Zuspitzung aufs Elitedenken ist es im Stück keineswegs verkehrt. Nur Thomas und Peter, die beiden Brüder sind engagiert und bleiben bei ihrer Linie, Presse und Kleinbürger schwanken opportunistisch hin und her. Insofern bilden die Nebenrollen, auch die verschiedenen Familienmitglieder, den Rahmen, in dem sich der politische und persönliche Konflikt entfaltet.

Am Ende fragt man sich, ob Thomas nicht doch nur ein egozentrischer Wichtigtuer mit Minderwertigkeitskomplexen ist oder ob es solcher Einzelrufer bedarf, um eine erstarrte Gesellschaft aufzurütteln. Und man fragt sich konkret, was geschehen muss, um Deutschland heute wieder zu einer sachlichen Debattenkultur zurückzubringen.

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