Antigone

Wie funktioniert eine 2500 Jahre alte Taschenlampe?

Ich habe mich das schon immer gefragt: Wie kann man so ein uraltes Theaterstück heute noch aufführen? Schon das Mittelhochdeutsche ist ja eine Fremdsprache aus einer fremden Welt und das ist nur knapp 1000 Jahre her. Und ist das Gerede von uralten Weisheiten nicht nur genau das: Gerede? Jetzt also Antigone, und wie ich bei einem Kontrollblick feststelle, das erste Stück aus der Zeit, als diese Kunstform entstand, welches ich in Konstanz gesehen habe.

Und tatsächlich erwische ich mich mitten im Stück, wie ich das Theaterganze in den Blick nehme und einen vollbesetzten Saal sehe, der auf eine Bühne schaut, wo Schauspieler mit großen Gesten gestanzte Verse sprechen. Noch mit den Spuren der vergangenen Haushaltsdebatte und den Vorwürfen, mit den Geldern für das Theater würden nur Eintrittspreise für ohnehin besserverdienende, meist ältere, weiße Bildungsbürger subventioniert – also mit diesem Hintergrund sah ich plötzlich vor dem inneren Auge eine Fernsehreportage, die einen Schwenk über den Saal auf die Bühne macht, während die sonore Fernsehstimme spricht: „… Auch heute noch ist Theater…“.

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State of the Union

Sex ist nicht alles, aber ohne Sex ist alles nichts

Wir sehen, wie eine Ehe vor dem Abgrund in zehn Therapiesitzungen zu neuer Blüte erwacht. Allerdings sehen wir nicht die Sitzungen, sondern das Treffen von Louise und Tom im Warteraum vor der Therapeutin. Es ist eine Liebesgeschichte mit viel Humor und etlichen Kalauern.

Es ist eine rundum gelungene Inszenierung unter der Regie von Abdullah Karaca und es ist seine zweite in diesem Jahr, nach „Morgen ist auch noch ein Tag“ im April. Eigentlich spielt das Stück des britischen „Erfolgsautors“ Nick Hornby in einer Kneipe. Elena Scheicher hat sich für ein Wartezimmer in einer abgeranzten Büroumgebung mit drei Sitzen  und einem Wasserspender  entschieden. Es ist eine gute Wahl, finde ich. Wenn man sich auf Youtube die Trailer anderer Inszenierungen anschaut, scheinen die Requisiten eher abzulenken. In Karacas Version ist alles auf die beiden Schauspieler konzentriert. Und die machen ihre Sache brillant.

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Die Ärztin

Sicher kein Affentheater

In ihrer Ansprache zur Eröffnung der neuen Spielzeit erwähnte unsere Intendantin, Karin Becker, dass es in Zukunft einen Publikumspreis für das beste Stück der Spielzeit geben werde. Nun, „Die Ärztin“ wird sicherlich ein heißer Kandidat für diesen Preis sein. Obwohl, wenn ich recht überlege, sollte ich mir wünschen, dass das Stück den Preis nicht bekommt. Denn das hieße im Umkehrschluss, dass noch bessere folgen werden.

Die Ärztin ist Ruth Wolff und behandelt ein 14-jähriges Mädchen, das heimlich abgetrieben und sich dabei eine Sepsis geholt hat und jetzt im Sterben liegt. Die Eltern sitzen im Flugzeug und sind nicht zu erreichen, stattdessen taucht ein Priester auf. Ruth verwehrt ihm den Zutritt zu dem Mädchen, weil jede Aufregung den Tod in Folge haben könne, es kommt sogar zum Handgemenge. Das Mädchen stirbt wenige Minuten später. Aus der Sache erwächst nach und nach ein Skandal in der Öffentlichkeit, der, angetrieben durch Ideologien rund um Geschlecht, Rasse, Religion und geschlechtliche Vorlieben, eine Eigendynamik entwickelt und das Leben von Ruth zerstört.

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Der eingebildet Kranke

Witz komm raus, Du bist umzingelt!

Man kennt das von Witzen. Worüber die einen lauthals lachen, gähnen die anderen oder schauen indigniert zur Seite. Bei Komödien ist es vielleicht ähnlich. Während ich einige Stimmen gehört hatte, die sich an der Aufführung des Molière-Stücks erfreuten, konnte ich selbst nur einige wenige Male lächeln und war damit nicht allein. Die Geschmäcker sind halt verschieden.

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Einfache Leute

Das Leiden der Anywheres

Ich konnte nach der Premiere kurz mit der sympathischen Autorin Anna Gschnitzer sprechen. Leider hatte ich die wichtige Frage nicht gestellt, nämlich die, ob sie mit der Inszenierung zufrieden gewesen sei. Darum kann ich nur sagen: Sie sollte es sein. Denn dem Team ist eine sehenswerte Umsetzung ihres Textes gelungen.

Burkhard Wolf war großartig und Julian Mantaj hat mir wesentlich besser gefallen, als in Virginia Woolf. Jana Alexia Rödiger liefert ohnehin eine konstant gute Leistung. Sehr positiv überrascht war ich von Anna Eger und Ruby Ann Rawson, die mich im Woyzeck so enttäuscht hatten. Und auch Luise Hardermuss gelobt werden. Vielleicht lag es auch an der Regisseurin Franziska Autzen. Als Hausregisseurin kennt sie die Schauspieler und im Gegensatz zu Gastregisseuren, die nur für eine Inszenierung ans Haus kommen, kann sie vermutlich besser einschätzen, welche Herausforderungen unsere Schauspieler zu Höchstleistungen animieren, ohne zu überfordern.

Die eingestreuten Tanzdarbietungen mit Lightshow waren auch vom Feinsten und brachten für den anspruchsvollen Stoff eine willkommene Unterbrechung. Allerdings wurde mir nicht klar, ob die Einlagen das Geschehen im Stück dramaturgisch unterstützten, ob es also eine Verbindung mit der Handlung gab.

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Morgen ist auch noch ein Tag

Wie hast Du Dir Dein Leben so eingerichtet?

Man könnte eine Theateraufführung mit einem Haus vergleichen. Der Autor entwirft die Architektur und errichtet Wände, Fenster und Türen. Regie und Bühnenbild sorgen für Möblierung, Tapeten, Vorhänge und Heizung. Die Schauspieler füllen das Haus mit Leben. Und der Zuschauer betritt das Haus, schaut sich um und fühlt nach, ob er in dem Haus leben könnte und wie das wäre. Wo würde man sich wohlfühlen und wo würde man anecken, weil die Decke zu niedrig, die Einrichtung zu muffig oder die Bewohner zu blöd sind. Eine schlechte Aufführung würde den Besucher an einen ihm nichtssagenden Ort führen. Eine gute wäre hingehen eine, bei der die Auseinandersetzung mit dem „Wohngefühl“ zu fruchtbaren Betrachtungen führt. „Morgen ist auch noch ein Tag“ war so eine.

Der Rohbau ist eine einfache Konstellation: Karl Auer, der Ehemann und Vater dreier Söhne, geht nach „20, 40 oder 80 Jahren“ in Rente. Er freut sich auf die neue Freiheit und darauf, sie mit seiner Frau zu verbringen. Die aber hat sich ihr Leben mit Sprachkurs, Chor, einem kleinen Job und vor allem ihrem Engagement für die Strandmalerei einer Inselgruppe im Pazifik eingerichtet. Und sie ist nicht bereit, ihr Leben zu ändern und möchte am liebsten ihren Mann abschieben. In ihrer Not zieht sie ihre Söhne mit in den aufziehenden Konflikt, aber die wollen vor allem in Ruhe gelassen werden.

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Wer hat Angst vor Virginia Woolf

Den Schleier zerreißen

Wenn man über das Verhältnis von Theatertext zu Aufführung nachdenkt, stößt man schnell auf zwei Möglichkeiten. Den Text kann man verstehen als mehr oder weniger geschickt arrangierte Schablonen, in die die Schauspieler ihr kunstvolles Spiel hineinlegen, die sie zum Leuchten bringen. Und nicht nur sie, auch für Bühnenbild und Kostüme, für das ganze künstlerische Drum und Dran ist der Text eine Einladung, sich zu entfalten. Man kann es aber auch andersherum sehen. All das Geschehen, die phantasievollen Aufbauten, all das Spielen auf der Bühne ist nur Mittel zum Zweck. Es dient nur einem, nämlich den Text wie ein Juwel erstrahlen zu lassen. Bestenfalls agiert das Ensemble aus dieser Perspektive wie ein Diamantenschleifer, der dem Rohdiamanten die schillernden Facetten verpasst.

Diese Dichotomie aufzumachen heißt zugleich, sie zu begraben. Natürlich ist es immer beides zugleich. Lediglich als Zuschauer darf man sich der einen oder anderen Seite zuschlagen. Meist will ich mich vom Spiel der Schauspieler verzaubern lassen. Doch bei diesem Stück war ich ganz auf seiten des Textes. Das heißt mitnichten, dass mir das Spiel nicht gefallen hat, es verschwand hinter dem Gespielten. Vielleicht ist das die wirkliche Schauspielkunst, nämlich dass man nicht guckt, wie die Künstler spielen, sondern vom Spiel gefangen wird.

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Animal Farm

Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!

Der Vorstand der Theaterfreunde teilt sich die Moderation der pro.loge auf. Auf mich fiel das Los und die Ehre, Fachvortrag und Diskussion zu Animal Farm zu moderieren. Zu dem Zeitpunkt hätte ich wenig mehr über den Roman von George Orwell zu referieren gewusst, als den Satz: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. Ein gerne gewähltes Zitat, um Doppelmoral zu geißeln. Erst durch den Wikipedia-Eintrag habe ich gelernt, dass die Tierfabel ein quasi getreues Abbild der Sowjetgeschichte von der Revolution bis in den Stalinismus ist. Jedes Detail, steht für ein konkretes geschichtliches Ereignis, jedes Tier für eine konkrete Person der Sowjetgeschichte oder für eine Gruppe der Gesellschaft (Arbeiter, Bauern, Bourgeoisie und so weiter).

Dies wissend, habe ich dann immer wieder überlegt, wie man so eine Fabel heute auf die Bühne bringen könnte. Würde man sie an das Zeitgeschehen adaptieren? Doppelmoral ließe sich reichlich aufspießen. Seien es Politiker, die vor der Wahl das eine sagen und nach der Wahl das „360°“ Entgegengesetzte zu tun. Oder junge Aktivisten, die nach getaner Protestarbeit, dem frönen, was sie der Gesellschaft vorwerfen. Auch dafür, wie sich die unterschiedlichen Tiere gegenüber dem immer massiver werdenden Unterdrückungsregime verhalten, könnte man aus den zwei Jahren Pandemie vielleicht Anknüpfungspunkte finden. Aber selbst, wenn man solche Aspekte aufgriffe, bliebe völlig unklar, wie man all die feinsinnig von Orwell entworfenen Details in so ein Setting hätte unterbringen können. Aber eine studierte und erfahrene Theaterregisseurin wie Franziska Stuhr, hat sicherlich ganz andere Ideen und Möglichkeiten, und ich war gespannt, wie das Stück werden würde. Vielleicht würde sie die menschliche Seite in den Vordergrund rücken. Wie wird aus einem genügsamen Schwein ein Oberschwein im Schweinesystem? Was geht da in der Person vor? Was geht in den Pferden und Kühen vor, die nach und nach merken, dass ihre Träume verraten werden? Das wäre ein universeller Gesichtspunkt, der sich in der Geschichte wiederholt.

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Woyzeck

Büchner feministisch verwurstet

Schon beim Hinabsteigen auf den mit schönem, rotem Teppich ausgelegten Stufen zurück ins Foyer war das Urteil gefällt: Das Bühnenbild von Lise Kruse war ausdrucksstark, die Puppenkopffiguren sehenswert, die Musik eindringlich, egal ob sanft oder fetzig und die Choreografie ideenreich, man hätte gerne den hinreißenden Tänzern länger zugeschaut. Doch die Figuren waren blass und ausdrucksschwach, die Dialoge tendierten gegen Langeweile. Besonders Ruby Ann Rawson brachte das Schicksal des Franz Woyzeck nicht im Ansatz glaubwürdig auf die Bühne, genauso wenig wie es Anna Eger gelang, den Hauptmann zu verkörpern. Ulrich Hoppe als Doktor und Patrick O. Beck als Tambourmajor waren solide gespielt, aber konnten das schwache Spiel der anderen nicht kompensieren.

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Tot sind wir nicht

Aber das reicht uns nicht, wir wollen auch was erleben

Gestern Abend hatten wir das Konstanzer Kulturleben in vollen Zügen eingesogen. Zuerst ging’s in den Kunstverein zur Mitgliederausstellung. Werke von 113 Künstler bedeckten die Wände wie ein Teppich und ließen uns grübeln, wie es gelingt, diese Überfülle an Werken so wohlgeordnet auf die drei Räume mit ihren zehn Wänden zu verteilen. Danach trennten sich unsere Wege. Mein Schatz ging mit vielen anderen in die Philharmonie, ich gehörte zur Gruppe, die in die Premiere zog.

Das Stück handelt von drei Paarbeziehungen. Ute K., die von Beate geliebt wird, von dem Bestatter Piotr Nagel und seinem Neffen Jason Nagel, der in dem Bestattungsunternehmen seines Onkels arbeitet und der zugleich eine alte Kindheitsbeziehung trifft, nämlich Franka, die die Kühlhalle betreibt. Das Setup ist skurril. Beate und Ute K. verdienen ihr Geld, indem sie nachts Medikamente auf dem Schwarzmarkt verkaufen. Die Bestatter sollen Ute K.‘s Mann, der kürzlich gestorben ist, unter die Erde bringen. Und Franka ist im Zukunftsgeschäft: Kyronik, also das Einfrieren von frischen Leichnamen, um sie in fünfzig Jahren, wenn die Technik so weit ist, dass die Menschen nicht mehr sterben müssen, wieder aufzutauen. Handlung ist nicht viel. Ute K.‘s Mann stirbt und wird beerdigt. Mehr passiert praktisch nicht. Doch es ist keineswegs langweilig. Im Gegenteil, man wird bestens unterhalten und ist erstaunt, wie schnell die fast zwei Stunden vergehen.

Foto: Milena Schilling
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