Salome

Das großartige Drama von Oscar Wilde hätte ein Glanzstück des Konstanzer Theaters werden können. Ein veritabler Schwachpunkt hat es leider verhindert.

Die biblische Geschichte ist so einfach wie bekannt. König Herodes feiert seinen Geburtstag. Er hält Johannes den Täufer gefangen, der seine Frau Herodias beschimpft. Die war nämlich Herodes‘ Schwägerin, bevor dieser seinen Bruder umgebracht hat. Auf dem Fest bittet Herodes seine Stiefttochter Salome für ihn zu tanzen, was diese auch tut, nachdem er ihr versprochen hat, jeden Wunsch zu erfüllen. Sie wünscht sich dann, von ihrer Mutter beeinflusst, den Kopf des Johannes, den sie auch bekommt. Herodias hat nun Ruhe vor den Vorwürfen des Predigers.

Bei der Dramatisierung des Stoffes hätte Wilde etliche Wege gehen können. Zum Beispiel hätte er ein Stück über Macht und Korruption schreiben können. Herodes war Vasall der Römer, durchaus ein brutaler Herrscher aber auch ein geschickter Politiker. Mit Johannes tritt das frühe Christentum auf den Plan, dem, wie wir wissen, ein großer Siegeszug bevorsteht. Und für die beiden Frauen hätten sich sicherlich noch interessante Positionen im königlichen Macht- und Kraftgefüge finden lassen.

Doch Wilde macht etwas Anderes und lässt Salome eine Liebende werden, die den Kopf des Johannes fordert, weil dieser ihre heftigen Avancen zurückweist. Das ist genial. So wird aus dem Historienstoff ein Stück über die zeitlose Dichotomie von Mann und Frau. Und hier dann sogar zwischen älteren Männern und älteren Frauen und jüngeren Männern und jüngeren Frauen wie auch unter Männern und unter Frauen.

Vera Nemirova ist die Umsetzung des Stoffes gelungen, Regie und Bühnenbild sind meisterlich. Die Nebenrollen changieren in Kleidung und Auftreten zwischen Mann und Frau und die Hofschranzen sind so alt und grau und dumm und hässlich, dass einem die Schauspieler schon fast leidtun, so auf der Bühne stehen zu müssen. Auch Musik und Bühnenbild ordnen sich trefflich dem einen Zweck unter, nämlich vier paar große Schuhe bereitzustellen, in die die Hauptdarsteller schlüpfen dürfen.

Für Jörg Dathe und Bettina Riebesel als Herodes und Herodias scheinen diese Schuhe das richtige Format zu haben. Dathe zeigt uns einen Herodes, der an der Neige seines Lebens, an sich selber zweifelt, der weiß, dass er eigentlich nur das politische Erbe seines Vaters verwaltet hat, dass seine Macht von den Römern geliehen ist und all seine Befehlsgewalt nicht mit innerer Größe korreliert. Er ist verzweifelt und immer noch auf der Suche nach Sinn und Erfüllung. Deshalb seine Hoffnung auf Erlösung durch den Tanz der sieben Schleier.

Herodias hält sich mit Selbstzweifeln nicht auf. Ihr Selbstbild lässt das nicht zu, alles, was es mal als Liebe gegeben haben mag, ist in Gehässigkeit transformiert. Sie kann die Zweifel ihres Mannes nicht verstehen und hat keine Ahnung davon, warum dieser den für sie verrückten Propheten nicht eigenhändig tötet, wie so viele davor. Riebesel ist grandios in dieser Rolle. Sie erinnert an Elizabeth Taylor im Ehedrama „Wer hat Angst vor Verginia Woolf“.

Es ist diesen beiden Schauspielern zu verdanken, dass man in die Handlung hineingezogen wird und dass man sich mit den Rollen identifiziert und in diese hineininterpretiert. So wie auch ich das hier soeben getan habe und auch weiter tun werde. Andere Zuschauer mögen in andere Richtungen denken, denn mindestens so verschieden wie Mann und Frau sind wir alle untereinander. Und unser Liebesleben hat uns je anderes über die Geschlechterrollen gelehrt. Das ist ja schließlich das Schöne an einem gut gespielten, universellen Stoff, dass man so viel herausnehmen kann.

Leider kann man aus dem, was Sylvana Schneider als Salome und André Rohde als  Johannes vorführen, nicht viel herausnehmen. Die metaphorischen Schuhe sind vor allem für Schneider viel zu groß. Sie soll sich an dem schönen, weißen Körper des Johannes berauschen. Schneider spricht die Worte, doch nichts davon ist glaubwürdig. Sie bleibt steif und hölzern wie die arrogante Prinzessin auf der Erbse. Da ist nichts von einer Femme fatale, die in Leidenschaft entflammt. Und so bleibt auch völlig unverständlich, dass sie den Kopf fordert. Denn es soll ja angeblich nicht (nur) Rache sein, die sie dazu bringt, sondern tatsächliches Verlangen diesen küssen zu können. Zugegeben: Diese nekrophile Veranstaltung ist eine schauspielerische Herausforderung. Aber, dass so gar nichts von alledem rüberkommt, ist schon traurig.

Durch den Ausfall des Gegenparts wird das Flehen des Herodes, ihn aus seinem Wort zu entlassen, zu einer ermüdenden Veranstaltung. Man weiß ja, dass er am Ende einwilligen muss, aber immer nur quasi „Bätschi, ich will den Kopf“ dagegen zu halten, entwertet Dathes Schauspielkunst. Dabei hätte Schneider im Schwanken der Salome zwischen Mitgefühl für ihren Vater und Verlangen nach dem Körper des Predigers beiden Gefühlen Ausdruck geben können und sollen.

So bleibt das riesige Potential des Stoffes weitgehend unausgeschöpft. Wie schön hätte man die Bindung der Frau an das irdische, die chthonische Wurzel des Weiblichen in Gegensatz stellen können zur Bindung des Mannes an das Geistige. Auch die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Männern und Frauen hätte man hervorheben können. Johannes, der ohnehin dem Weltlichen entrückt ist und Herodes, der in homophiler Neigung diesen als Erlöser für sein Seelenleiden sucht. Dagegen die Frauen verbunden durch die Gewissheit des Geburtskanals ganz auf sich bezogen. Jemand anderes hätte vielleicht auch einen modernen Feminismus in den Frauenrollen entdecken mögen, eine Salome, die ihre Wünsche formuliert und einfordert und notfalls über Leichen geht. Wie auch immer. Nur hätte ich mir gewünscht es zu erleben und nicht, es mir denken zu müssen.

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