Offensichtlich hat die Dramaturgie keinen Einfluss auf die Aufführung. Und das ist auch gut so.
Dominique Lorenz hat mit „Wer hat Angst vorm weißen Mann“ ein wunderbares Volkstheaterstück geschaffen. Ein Schenkelklopfer reiht sich an den nächsten, ganz so wie bei Ohnesorgs, und am Ende denkt man gerne darüber nach, was einem das Stück über das Leben und das Schicksal sagt. Und unserem Theater gelingt es, das Lustspiel gekonnt in Szene zu setzen.
Es geht um den Metzgermeister Franz, der nach seinem Schlaganfall in den Betrieb zurückkehrt und feststellt, dass seine Welt in Unordnung geraten ist. Tochter Zita hat den Betrieb mehr recht als schlecht mit dem Asylbewerber Alpha aus Togo am Laufen gehalten, doch die Kunden bleiben weg, weil die Weißwürste nicht mehr so schmecken wie früher. Zita träumt von einer Imbissecke, einer sanften Erneuerung des alteingesessenen Betriebs. Sohn Anton, ein Luftikus unter der Fuchtel seiner Frau, will die Metzgerei ganz aufgeben und eine Lounge einrichten.
Doch Franz‘ erstes Problem ist der „Neger“, der plötzlich da ist. Das geht gar nicht. Doch noch bevor Franz überhaupt mit Alpha ernsthaft redet, kommt es zu einem tragischen Unfall. Beim Wechsel einer Glühbirne bekommen Franz und Alpha einen Stromschlag. Alpha überlebt aber Franz stirbt. Doch statt ins Jenseits zu entschwinden, verharrt er in der Metzgerei als Geist und muss hilflos mit ansehen, wie sein Sohn Anton das Testament, das ihn nicht berücksichtigt, verschwinden lässt und Zita hintergeht. Franz kann schimpfen wie er will, aber es nutzt nichts, er ist ja nur ein Geist und niemand nimmt ihn wahr. Niemand? Ausgerechnet Alpha kann ihn sehen und hören und so beginnt eine wunderbare Odyssee der beiden. Aus Franz‘ rassistischer Ablehnung und Alphas persönlicher Abneigung wird notgedrungene Akzeptanz, dann gemeinsames Kämpfen und am Ende sogar tatsächlich so etwas wie Freundschaft zwischen den ungleichen Partnern.
Wie schon gesagt, die Inszenierung ist überaus gelungen. Christian Schlechter bringt gigantische Weißwürste auf die Bühne, die als Sitzmöbel, Verkaufstheke, Krankentrage und Sarg dienen. Die Schauspieler überzeugen ohne Einschränkung. Doch verglichen mit Odo Jergitsch als Franz sind Zita (Antonia Jungwirth), Anton (Georg Melich) und alle anderen nur Nebenrollen. Sie bebildern die Klischees der fleißigen Tochter, des bösen Bruders, der intriganten Schwiegertochter, der sturen Beamten, des treu(-dummen) Freundes, des naiven Liebhabers, und so weiter. Sie sind alle nur statische Figuren, lediglich Franz wird als Charakter durchgezeichnet, nur er durchlebt eine Entwicklung, um ihn geht es in dem Stück. Und vielleicht auch um Alpha (Ramses Alpha), doch leider bleibt dieser blass. In seiner Rolle muss er im gebrochenen Simpeldeutsch sprechen, das lässt nicht viel Raum für differenzierte Personenzeichnung. Alphas spielerische Leistung kann das nicht kompensieren, er bleibt das Klischee eines Afrikaners, mit dem Glauben an Hokuspokus und Lust an rhythmischen Tanz. Ich weiß nicht, ob die Autorin dieser Rolle mehr zugeschrieben hat, wenn ja, dann hat hier die Inszenierung ihren Schwachpunkt.
In der Konstanzer Aufführung geht es also nur um Franz, ein Prachtstück eines bayerischen Grantlers. Erzkonservativ, starrhalsig, rassistisch (und vermutlich auch homophob und was es noch an politisch unkorrekten Haltungen gibt). Aber auch mutig, arbeitsam, erfindungsreich, mit guter Menschenkenntnis und Liebe zu seiner verstorbenen Frau und seiner fleißigen Tochter. Die Figur ist nicht mehr ganz aktuell, sie entspringt eher den 60er oder 70er Jahren, als die Nachkriegsgeneration langsam abtreten musste. Dass die Folgegeneration etwas ändern will, nicht nur einfach das Aufgebaute weiterführen will, überhaupt, dass sich die Welt ändern würde, war für viele dieser Generation schwer zu akzeptieren. Viele Familien sind daran zerbrochen. Und auch Franz gelingt es selbst als Geist kaum, die veränderten Machtverhältnisse zu akzeptieren. Wenn er dann Alpha droht: „nur über meine Leiche“, dann braucht es eine Weile bis er merkt, wie unsinnig sein Machtgeprotze ist. Immer wieder zerstreitet er sich mit Alpha, nur um im letzten Moment die Kurve zu kriegen, denn nur durch ihn kann er seiner Tochter Hilfe gewähren.
So kann man wunderbar über die Pointen lachen und überlegen, wo man diesem Menschentypus begegnet ist und wie viel davon in einem selber stecken mag. Doch wenn man dann das Programmheft liest – wovon ich abrate – merkt man, dass man das Stück leider nicht verstanden hat. Da erklärt nämlich die Dramaturgin Anna-Lena Kühner, dass es ausschließlich um Rassismus gehe, vor allem auch den versteckten, wenn man z.B. den fremdländischen Mitbürger zweimal fragt, wo er denn herkäme, weil einem die Antwort Würzburg oder Duisburg nicht gereicht hat. Ja, selbst in einer so toleranten und weltoffenen Gesellschaft wie Deutschland wird man Rassismus finden. Doch wenn man in solch einem Familienstück nichts anderes findet als Rassismus, muss sich der geistige Horizont schon gehörig verengt haben. (Wenig würde sich am Stück ändern, würde man die Figur des Alpha durch einen Schwulen oder einen Veganer ersetzen.) Zum Glück scheint die Dramaturgin keinen Einfluss auf die Inszenierung genommen zu haben.