Mit „Onkel Wanja“ von Anton Tschechow ist dem Konstanzer Stadttheater eine gute und zugleich fragwürdige Aufführung gelungen. Beginnen wir mit dem Positiven.
Das Stück handelt von Menschen, die sich mit der Tragik ihres verpfuschten Lebens auseinandersetzen. Die kurze Zusammenfassung auf der Webseite des Theaters gibt den Inhalt des Stückes gut wieder:
Fern von Moskau verwaltet Wanja ein Landgut. Die hart erarbeiteten Einnahmen schickt er seit Jahren an seinen Schwager, den in Moskau lebenden Literaturprofessor Serebrjakow. Als dieser sich als Emeritus mit seiner jungen Frau Jelena auf das Landgut zurückzieht, eröffnet er Wanja, dass er das Gut verkaufen möchte, um in Finnland eine Datscha zu erwerben. Darüber hinaus muss Wanja feststellen, dass Serebrjakow ein gescheiterter Intellektueller ohne wissenschaftliche Leistungen ist. Seine Zuneigung ihm gegenüber verwandelt sich in Hass. Allerdings fühlt er sich heftig zu Serebrjakows junger Frau Jelena hingezogen.
Den Schauspieler gelingt es, die Dramatik des Stoffes wiederzugeben und man verfolgt das dreistündige Stück gebannt. Sie geben die Rollen sehr authentisch und das, obwohl die Darsteller zu jung und zu schön sind. Ralf Beckord sieht mit Bart und langen Haaren fast jünger aus als sonst, Sebastian Haase hat schon etwas Dandyhaftes und Laura Lippmann macht erst gar keinen Versuch, die im Stück angedachte Hässlichkeit zu verkörpern. Wie gesagt, trotz dieser Einschränkungen kann sich der Zuschauer in das Drama der gescheiterten Existenzen hineinversetzen. Lediglich die akustisch leisen Stimmen dürften einige Zuschauer zeitweise abgehängt haben.
Stoff gut, Schauspieler gut, alles gut? Nun denn, es gibt ja noch den Regisseur und der wurde ja im Vorfeld hochgelobt. Ein Amerikaner, der ein Stück in Konstanz inszeniert. Der Name Neil LaBute stand in allen Lokalmedien und selbst das Programmheft versucht mit einem Interview die besondere Bedeutung des Regisseurs für diese Stück hervorzuheben. Leider löst das Team LaBute / Bauer die Vorschusslorbeeren überhaupt nicht ein.
Das beginnt damit, dass das Stück in die Tschechoslowakei des Jahres 1968 versetzt wird. Das gibt zwar einen Anlass, viel gute Beatlesmusik auf die Bühne zu bringen (teilweise auch gefällig von den Schauspielern intoniert), doch ergibt es keinen Sinn. Wie, bitteschön, sollen denn die Rollen Tschechows auf die Konfliktlinien des Prager Frühlings verteilt werden? Soll der abgehalfterte Kunstprofessor für die aufbrechenden Intellektuellen stehen oder doch eher für die abgehobene Nomenklatura? Sollen die sich aufopfernden Wanja, Sonja und Co für die ausgebeutete Arbeiterklasse stehen? Oder sollen wir der Dekadenz einer zum Untergang geweihten Oberschicht beiwohnen, die sich selbst bedauert. Vielleicht käme das dem Original nahe, doch hätte das nun nichts mit der Aufbruchsstimmung der 68er Jahre zu tun.
Wie man es dreht und wendet, das Stück einfach nur platt in eine andere Zeit zu versetzen, schafft oberflächlichen Glitzer aber auch nur das. Als hätte die Regie dies gemerkt, versucht sie den Schluss mit einem Knaller zu versehen der aber zu Rohrkrepierer wird. Onkel Wanja vergewaltigt am Ende seine Nichte Sonja. Was will er uns damit sagen? Dass Nicht-Intellektuelle, wenn sie vom Leben enttäuscht sind, zu Tieren werden? So wie gescheiterte Ostdeutsche zu pöbelnden Flüchtlingsheimanzündern werden? Dass das dumpfe Landvolk den Besuch der edlen Stadtbewohner (Eliten?) nicht bewältigen kann? Auf jeden Fall wirkt es wie Effekthascherei, geboren aus der Unfähigkeit den Stoff Tschechows zu durchdringen.
Ebenso sinnbefreit ist es, die Schauspieler um ihren wohlverdienten Applaus zu bringen, indem man den Vorhang fallen lässt und die Zuschauer mit Helter Skelter aus dem Theatersaal treibt. Vielleicht will der Regisseur damit das Aufbrechen von Konventionen der 68er Jahre zitieren, vielleicht aber wollte er sich auch vor möglichen Pfiffen retten. Aber da kennt er das Konstanzer Publikum noch nicht, denn das hätte ja trotz allem kräftig applaudiert.