Theater Konstanz brandaktuell: Zum neuen Stück „Rassen“ von Ferdinand Bruckner
Das neue Stück am Theater Konstanz ist auf bemerkenswerte, nämlich doppelte Weise aktuell. Es zeigt drei befreundete Studenten in Deutschland des heraufziehenden Nationalsozialismus.
Zunächst zur Dramaturgie. Bei Inszenierung und Bühnenbild liegt der Standard in Konstanz schon immer hoch, aber diesmal hat das Team die Latte noch einmal höher gelegt. Die Bühne aus Stahl und Neonröhren verstärkt die bedrohlichen Tänze der weißgewandeten Faschisten. Besser kann man es nicht machen. Leider können die Schauspieler diesen Ausdruckslevel nicht erreichen; man kann nicht alles haben und eine Schauspielerliga auf der Höhe von Inszenierung und Bühnenbild würde wohl Größenordnungen über dem liegen, was unser Theater zahlen kann.
Das Stück zeigt, wie sich die Beziehungen zwischen den drei Freunden ändern. Tessow, Karlanner und Siegelmann. Letzterer ist Jude und Karlanner hat mit Helene eine jüdische Freundin. Wir sehen rassistisch grundierten Fanatismus, Ausgrenzung von Mitmenschen, Konformitätsdruck, Instrumentalisierung von Menschen und schlussendlich Gewalt und das Hervorbrechen tierischer Instinkte.
Bruckner schrieb das Stück 1933, also ohne den Ausgang der Geschichte zu kennen. Sein Schwerpunkt liegt aus heutiger Sicht am Anfang dessen, was ein schlimmes Ende nahm. Wir sollten also sehr genau hinschauen, denn auch heute deuten sich gesellschaftliche Umbrüche an. Die historische Dimension wird auf der Bühne durch Textprojektionen hergestellt, die die wichtigsten Stationen des nationalsozialistischen Gesellschaftsumbaus von der Demokratie zum Vernichtungskrieg einblenden. Zunächst langsam, wohl im Gleichtakt zum vorgeführten Geschehen, später dann im Zeitraffer und stoppend beim aktuellen Datum, bei der Premiere also am 20. Januar 2017. Diese Übertragung ins Heute ist zwar mit dem Holzhammer, aber es kann wohl nicht schaden. Und nimmt man den verzögert einsetzenden und auch zögerlichen Applaus als Indiz dafür, dass das Publikum ins Grübeln kam, hat die Holzhammermethode vielleicht die beabsichtigte Wirkung gezeigt.
Wie man das Stück heute lesen soll, macht die Dramaturgie schnell klar, indem sie den Bösewicht Rosloh mit Höcke gleichsetzt. Doch gibt es bei dieser Übertragung in das bundesrepublikanische Jetzt einen kleinen Stolperstein. Das Stück zeigt nämlich, wie enge Freundschaften unter dem Druck gesellschaftlicher Spannungen zerfallen. Auch im Deutschland der Jahre 2015 und 2016 sind Konflikte in Freundeskreisen und Familien aufgebrochen. Öffentlich wurden diejenigen, die sich kritisch zur Willkommenskultur geäußert hatten, teilweise scharf ausgegrenzt und verunglimpft. Oft genug als Nazis. Es droht die Gefahr, dass, was man verhindern will, erst hervorzurufen.
Man kann natürlich das große Einvernehmen zwischen Kanzlerin, Medien und Mehrheitsmeinung in unserer Gesellschaft begrüßen und auf den hohen moralischen Standard unseres Engagements für das Gute in der Welt stolz sein. Schwieriger wird es, Internetzensur und Wahrheitsministerien (a.k.a Desinformationsbehörde) zu fordern, um dieses Einvernehmen zu erhalten. Noch problematischer ist es, gesellschaftliche Auseinandersetzung durch eine Politik der proklamierten Alternativlosigkeit zu verdrängen. Ohne diese Auseinandersetzung überlässt man das Feld des Diskurses den Schreihälsen, so wie neulich in Magdeburg, als Studenten einen unerwünschten Vortrag durch Sitzblockade und Trillerpfeifen verhindern wollten und sich am Ende Personenschützer der AFD mit Antifakämpfern prügelten.
Der Artikel 5 des Grundgesetzes ist kein Luxusartikel für friedliche Zeiten. Wenn man aus Sorge vor einem neuen Rechtsradikalismus Meinungsfreiheit und offene und kritische Auseinandersetzung einschränkt, befördert man diesen. Dass man nichts für ewig gegeben nehmen sollte, symbolisiert das Datum der Uraufführung, die mit der Amtseinsetzung Trumps zusammenfällt. Insofern ist das Stück vielleicht noch viel aktueller, als die Dramaturgen es zeigen wollten.