Mit vollem Mund singt man doch!
Es ist doch so: Ein Fußballspiel der örtlichen B-Jugend kann spannender sein, als ein abgebrühtes Gekicke in der Champions-League. Herzblut und Engagement sind oft sehenswerter als Geld und Können. Und aus diesem Grund gehe ich gerne ins Konstanzer Stadttheater und verzeihe gerne, wenn das eine oder andere nicht ganz so perfekt gelingt, wie an den großen Häusern. Vielleicht sogar so: Eben weil das eine oder andere Mal zu sehen ist, dass die Schauspieler an ihre Grenzen kommen, kann man die erbrachte Leistung umso überzeugter würdigen.
Mit „Alla Fine del Mare“ bringt das Ensemble Federico Fellinis Film „Schiff der Träume“ auf die Bühne. Der Film spielt kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und handelt von einer internationalen Musik-Hautevolee, die das Urnenbegräbnis ihrer verstorbenen Primadonna als Kreuzfahrt zelebriert. Sie begegnen albanischen Kriegsflüchtlingen und ihr Schiff wird von einem Kreuzer der K.u.K. Flotte schlussendlich versenkt, wobei die meisten Passagiere aber gerettet werden.
Fellini ging es wohl vornehmlich darum, die Dekadenz der feinen Gesellschaft lustvoll in Szene zu setzen. Die Bediensteten auf dem Schiff und auch die Kriegsflüchtlinge bilden dazu einen hilfreichen Kontrast. Dass diese beiden Gesellschaften einander nichts zu sagen haben, rückt die Regisseurin Anna-Sophie Mahler in das Zentrum der Konstanzer Inszenierung. Herausgekommen ist ein erlebenswerter Musikabend mit Theatereinlagen.
Man sollte allerdings keine musikalischen Spitzenleistungen erwarten. Chor, Klavier und eine Sopranistin können nicht mit der Mailänder Scala konkurrieren. Wer Verdis La Traviata rein musikalisch genießen möchte, lege zu Hause die CD in den Spieler oder lasse sich Anna Netrebkos Interpretation vom abonnierten Dienstleister herunterströmen. Nein, was wir sehen und hören ist eher „Verdi Unplugged“, eine halbe Stunde des ersten Aktes, dargeboten von der begeisternden Yuka Yanagihara, der es stets gelingt, die Darbietung dezent zu brechen, sodass wir trotz ihrer klassischen Stimme immer wissen, dass wir nicht der Oper, sondern einem Theaterstück beiwohnen, in dem eine Oper gespielt wird. Wenn sie dann am Ende in Strapsen und schwindelerregend hohen Schuhen an der Rampe steht und sich beim Singen den Krümmelkuchen in den Mund stopft, erleben wir eine einzigartige musikalische Performance.
Die Künstler singen, die einfachen Leute sprechen und sie verstehen sich nicht. Sie mögen sich auch nicht und achten sich nicht. Auch dass die Liebe zwischen der vermeintlichen Violetta und dem Kellner mit Migrationshintergrund nicht funktionieren wird, ahnen wir schnell, obwohl sich beide unter dem Reifrock der Sängerin aneinanderkuscheln. Als „Violetta“ dann endlich auf die lange Erzählung der Lebensgeschichte des einfachen Mannes antwortet, zerschlägt ihr (Liebes-)Tremolo jegliche Romantik und überlässt den geknickten Angestellten den höhnischen Späßen der Gesellschaft.
Die musikalische Leitung verdient ein besonderes Kompliment ob der Musikauswahl und des Arrangements. Und gleiches gilt – wie eigentlich immer – der Bühnenausstattung, und in diesem Fall der Kostümierung. Es ist ein reiner Augenschmaus, der dem Zuschauer geboten wird.
Augen und Ohren werden verwöhnt, doch der Intellekt bleibt unterfordert. Das Nebeneinander der gehobenen Künstlergesellschaft und der einfachen Leute wird holzschnittartig dargestellt und damit hat sich’s. Eine theaterwürdige Dramatisierung bleibt aus und damit auch jedweder Erkenntnisgewinn. Nun, es ist halt nicht Theater, sondern Musik und die richtet sich vor allem ans Gemüt.
Man hätte natürlich versuchen können, den naheliegenden Bezug zu den Vieltausenden Bootsflüchtlingen im Mittelmeer des Jahres 2017 herzustellen. Doch vermutlich ist es besser, dass es unterblieb. Wenn das Programmheft unsere Medien mit der AFD auf einer Linie in der Einschätzung des aktuellen Migrationsgeschehens sieht, spiegelt das wohl den Grad der Verwirrtheit. Wie auch hätte man das Thema nach heute übertragen können? Sind es doch heute die Künstler, die gemeinsam mit Spitzen aus Politik und Kirche den gesellschaftlichen Veränderungsprozess vorantreiben und an einem neuen, vielfältigeren Deutschland arbeiten, in dem den Neubürgern aus den islamischen Ländern eine katalysierende Rolle zukommt. Und sind es doch heute die einfachen Leute, die sich den Veränderungen in den Weg stellen und deren hässliche Botschaften in den sozialen Medien mit neuen Gesetzengebungen zurückgedrängt werden müssen.
Insofern ist es zu begrüßen, dass die Verknüpfung des Stücks mit der Realität nur im Programmheft stattfindet. Das heißt aber keineswegs, dass sich unser Theater der gesellschaftlichen Debatte entzieht, im Gegenteil. Christoph Nix hat entschieden, Hamed Abdel-Samad am 12. Oktober in den Theaterräumen vortragen zu lassen. Die Volkshochschule hatte den islamkritischen Ägypter zuvor ausgeladen. Schade nur, dass solch ein Vortrag lediglich unter verschärften Sicherheitsbedingungen in Deutschland möglich ist.