Sprechtheater hat mit sprechen zu. Das sollte man also auch können.
Ich hatte mich auf die Aufführung gefreut. Das Ankündigungsplakat mit dem gebratenen Hühnchen gefiel mir und die Fotos von dem „Bällebad“ auf der Homepage des Theaters versprachen ein ordentliches Bühnengaudi.
In der Tat: Die Bühnengestaltung, die Kostüme, die Requisiten – all das war vom Feinsten. Marie Labsch zeichnet dafür verantwortlich und man kann sie kaum genug loben. Welchen Beitrag die Choreografie in dieser Aufführung spielt, kann ich nicht genau einschätzen. Aber ich vermute, auch Zenta Haerter hat viel dazu beigetragen, dass das Stück nicht völlig abgestürzt ist. Denn was soll man davon halten, was Eivind Haugland (Dramaturgie) und Ingo Putz (Regie) da abgeliefert haben?
Gemäß Programmheft geht es darum, ein Hohelied auf unsere Kinder und Jugendlichen zu zelebrieren. Seit Greta Thunberg unsere Schüler zu Freitagsprotesten animiert hat, geht gewissermaßen ein Aufatmen durch die von der 68-Protestbewegung beeinflusste deutsche Gesellschaft. Endlich ist es vorbei, mit der desinteressierten Jugend, die nur Fun und Luxus sucht! Endlich wird der revolutionäre Faden wieder aufgenommen! Da kann es des Lobes nicht genug geben und so loben Politiker aller „demokratischen“ Parteien die Protestbewegung, allen voran, die Bundeskanzlerin und der Bundespräsident. Dazu entsprechende Begleitmusik von den Medien.
Da will also Haugland nicht nachstehen und lässt im Programmheft Jan Stremmel Überlegungen anstellen, dass die Forderung, das Wahlalter auf 16 herabzusetzen, nicht weit genug ginge. Warum nicht wesentlich tiefer absenken? Vielleicht schon eher Einschränkungen für 50-jährige Verschwörungstheoretiker oder Demente. Vielleicht halten manche Stremmels Äußerungen für mutige Überlegungen, ich selbst sähe es mit Sorge, wenn leichtfertig Hand an unsere Verfassung gelegt würde.
Nun denn. Vor diesem Hintergrund inszenieren die beiden die über 2000 Jahre alte Komödie. Zwei frustrierte Griechen, Peisthetairos und Euelpides denen die Athener Eliten zu verlogen und korrupt sind, wandern aus und suchen nach einem Land, um eine neue Stadt zu gründen. Sie landen bei dem Volk der Vögel, die die beiden Menschen sogleich töten wollen. In ihrer Not präsentieren die beiden einen Plan, wie die Vögel zu den Herren der Welt werden und sich über die Menschen und über die Götter stellen können. Der Plan überzeugt die Vögel, wird umgesetzt, geht auf und Peisthetairos heiratet am Ende Basileia (die hier als Frau des Zeus gilt) und hält den Donnerkeil in den Händen, mit dem sich die Welt beherrschen lässt.
Was Aristophanes wohl vor allem zeigen will, ist, wie sich die dummen Vögel (stellvertretend für das einfache Volk) manipulieren lassen. In der Ankündigung für die Konstanzer Aufführung steht: „Eine brandaktuelle Politsatire über populistische Beeinflussung unbedarfter Massen zum Schaden ihrer selbst.“ Von wem die populistische Beeinflussung aktuell ausgeht, muss sich der Zuschauer denken. Zur unbedarften Masse darf er sich gewiss zählen. Haugland und Putz wären dann die Volksaufklärer oder so ähnlich. Was immer man davon halten mag: Sie kommen nun auf die, ich muss wohl sagen, Schnapsidee, die Vögel von Schülern spielen zu lassen. Wollen sie uns damit zeigen, wie leicht sich Kinder und Jugendliche verführen lassen, bis hin dazu, sich gegenseitig umzubringen? Ganz so falsch ist das nicht. Alle faschistischen Systeme haben es verstanden, die Jugend einzuspannen. Das bislang schrecklichste Beispiel war wohl Maos China während der Kulturrevolution, als Kinder so weit gebracht wurden, ihre eigenen Eltern ans Messer zu liefern.
Also, einerseits wollen Regie und Dramaturgie ein Plädoyer für die Jugend, aber dann zeigen sie sie als einen Haufen aufgeregter Hühner. Das passt nicht. Und die eingestreuten Aperçus zu Konstanz (Klimanotstand, Bodenseeforum, Theaterfahrstuhl) bringen zwar Lokalkolorit aber keinen Sinn.
Vielleicht meinte man, es reicht, dass Schüler auf der Bühne stehen. Doch auch der Schuss geht nach hinten los. Die schauspielerische Leistung der Jugendlichen reicht für Statistenrollen so eben hin, aber Sprechrollen stellen andere Anforderungen. Man sollte das gelernt haben, man sollte sauber artikulieren können. Nichts gegen die Schüler. Sie sind mit Ernst bei der Sache und die Sängerin sticht sogar mit großem Talent heraus. Doch würde man die großartige Ausstattung und das gelungene Spiel der beiden gelernten Schauspieler Sylvana Schneider und Sepp Klein, die ihre Rollen souverän abliefern, abziehen, würde das Niveau einer besseren Theater-AG kaum überschritten. Und wie bei einer solchen Schulaufführung denkt man wohlwollend: „Dafür, dass es Schüler sind, ist es ganz gut“, oder so ähnlich. Damit haben Haugland und Putz ihr Anliegen auch auf dieser Ebene konterkariert.
Es ist durchaus zu begrüßen, Schülern die Möglichkeit zu geben, ihr Können zu präsentieren. Und vielleicht führt es dazu, dass das Theaterpublikum jünger wird. (In unserer Aufführung war das jedenfalls so.) Doch wenn man ein Stück ins Abendprogramm der städtischen Bühne bringt, gelten professionelle Ansprüche. Wenn die Jugendlichen daran scheitern, hat die Regie einen Fehler gemacht. Den Stoff dann noch im Programmheft mit dem neuen Jugendhype aufzuladen, verdoppelt ihn.