Regietricks für die Männerseele
Wer Anfang der 1930er-Jahre arbeitslos wird, dem droht materielle und seelische Not und so ist Kasimir, der tags zuvor „abgebaut“ wurde, nicht nach Feiern zumute. Seine Verlobte Karoline aber will sich vergnügen. Und so sieht der Zuschauer, wie die Beziehung der beiden auf dem Oktoberfest immer mehr zerbricht. Sie lässt sich erst von dem Zuschneider Egon Schürzinger umgarnen, später flirtet sie dann mit dem Kommerzienrat Rauch. Kasimir gibt sich derweil mit dem Merkl Franz und seiner Erna trübsinnigen Gedanken hin, die sich darum drehen, ob man sich besser politisch engagieren, oder sein Glück auf eigene (kriminelle) Faust suchen soll.
Die Menschen in Ödön von Horváths Volksstück sind reichlich desillusioniert. Niemand glaubt an die große Liebe. Der arbeitslose Kasimir denkt, dass Karoline ihn automatisch verlassen würde; sie hingegen meint und sagt zwar, eine wertvolle Frau hänge höchstens noch mehr an dem Manne, zu dem sie gehört, wenn es diesem Manne schlecht geht. Aber dann kommt sie doch auf den Gedanken, dass sie und Kasimir nicht zusammenpassen würden. Der Merkl Franz schlägt seine Erna, die willen- und kraftlos an ihm hängt und alles erträgt. Der Kommerzienrat Rauch und sein Freund, der Landgerichtsdirektor Speer, suchen in den Frauen nur die unverbindliche Lust und Schürzinger hat ohnehin zu wenig Selbstwertgefühl, um ernsthaft zu lieben.
Horváth hat das Stück genau in Zeit und Ort verhaftet: München, Oktoberfest, „in unserer Zeit“, also den 30er-Jahren. Zugleich soll das Gezeigte zeitlos sein. Es sind klassische Männer- und Frauenrollen, die Horváth auf die Bühne bringt, fast schon Archetypen. Es ist gut, dass die Regie, Zenta Haerter und Christoph Nix, es dabei belassen hat. Der Versuch, den Stoff an die heute verbreitete Gendertheorie anzupassen, der zufolge es keine zwei Geschlechter gibt, sondern nur ein Kontinuum von angelernten Verhaltensweisen, hätte sicherlich nicht viel von dem übrig gelassen, was Horváth zeigen wollte.
Im Gegenteil. Die Inszenierung betont den universellen Anspruch Horváths, durch ein abstraktes Bühnenbild, ein ästhetisierendes Hintergrundgeschehen von Akrobaten und Gauklern und durch die Wahl einer sphärischen Musik. Vor dieser Kulisse könnten sich die Figuren kontrastreich entfalten, doch das gelingt nur teilweise. Peter Cieslinski als Landgerichtsdirektor Speer bleibt eigentlich nur durch eine erstaunlich gymnastische Übung in Erinnerung. Harald Schröpfer gelingt es nicht, das Lüsterne, Derbe und Skrupellose des Kommerzienrats Rauch darzustellen, auch spricht er sehr undeutlich. Sylvana Schneider als Erna tut sich eher im Ringkampf hervor als in der Rolle der sich selbst verachtenden Frau. Und auch Florian Rummel ist nie der desillusionierte Zyniker, den man erwarten sollte.
Dass die Aufführung dennoch sehenswert ist, liegt an den übrigen Schauspielern. André Rohde spielt den ehrlosen und dennoch charmanten Schürzinger so glaubwürdig, dass auch die Widersprüchlichkeit des Charakters deutlich wird. Es ist aber vor allem Antonia Jungwirth, die Freude beim Zuschauen macht. Die Mischung aus Naivität („ich wollte doch nur ein Eis essen“) und Berechnung („Das Leben ist hart und eine Frau, die wo etwas erreichen will, muss einen einflussreichen Mann immer bei seinem Gefühlsleben packen“) ist stets glaubwürdig und bis zuletzt denkt man, dass es nur der rechten Ansprache durch Kasimir bedürfe, um zum Happy-End zu kommen.
Womit wir zu der letzten Figur kommen, dem Kasimir. Er wird von zwei Schauspielern gespielt: Odo Jergitsch und Julian Härtner. Beide machen ihre Sache gut. Gemeinsam gelingt es ihnen, Kasimirs Charakter voll zu entfalten und eindrücklich darzustellen. Härtner ist der ausagierende Teil, der, der die Sprüche klopft, streitet und säuft. Jergitsch ist für das Innenleben zuständig, die verletzte Seele, die sich beim Sirtaki Trost zutanzt. Es ist ein gelungener Trick der Regie und es ist schön, den Facettenreichtum einer Männerseele auf der Bühne ausgebreitet zu sehen.