Zwei Tage, eine Nacht

So lang hat das Stück nicht gedauert – zum Glück

Ich war gewarnt worden. Man hatte mir gesagt, dass das Stück zäh sei und sich ziehen würde. Langweilig, Tendenz: bei der Hälfte den Saal verlassen, bevor die Augen zufallen. Die Warnung ist bei mir verpufft. Öfter schon hatte ich eine andere Wahrnehmung eines Stückes als andere Zuschauer. Mal fand ich es schlechter, mal auch positiver. Und überhaupt: Ich bilde mir natürlich meine eigene Meinung.

Foto: Ilja Mess

Dazu kommt, dass der Kurztext zum Stück einen spannenden Abend versprach. Es geht um Sandra, die längere Zeit wegen Depressionen nicht arbeiten konnte und nun zur Arbeitsstelle zurückkommt und dort erfährt, dass sie entlassen ist. Nicht einfach so, sondern ihr Chef hatte die Belegschaft vor die Alternative gestellt, entweder jedem Mitarbeiter eine Jahresprämie von 1000 € zu zahlen oder Sandra zu behalten. Die schwierige wirtschaftliche Situation lasse nicht beides zu.

Sandras befreundete Arbeitskollegin fädelt ein, dass Sandra den Chef überredet, die Abstimmung am Montagmorgen zu wiederholen und so bleiben Sandra zwei Tage und eine Nacht, um mit jedem ihrer 16 Kollegen zu sprechen und ihn oder sie (trotz Gender* im Programmheft kennt das Stück nur zwei Geschlechter) auf ihre Seite zu ziehen. Eine großartige Exposition für ein Drama in einer aktuellen und durchaus vorstellbaren Situation und das Potenzial für ein aufschlussreiches und dramatisches Bühnengeschehen. Wenn die Dramaturgin Deborah Raulin im Programmheft über die „Erosion der Solidarität im Neoliberalismus“ spricht, berührt sie tatsächlich ein wichtiges Thema. Wobei Sandra im Stück weniger Solidarität, sondern mehr Empathie einfordert, also weniger an die Vernunft und die Macht einer Solidargemeinschaft appelliert und stattdessen einen Kampf zwischen schlechtem Gewissen und Egoismus inszeniert.

Es gibt auch ein paar Fragezeichen für mich in der Konstruktion. Sandra ist auf den Job angewiesen, weil die Familie nur so das Eigenheim abbezahlen kann. Das deutet nicht auf Mindestlohn hin. Dagegen sind 1000 € Prämie vergleichsweise wenig. Wenn die Arbeitskollegen argumentieren, dass die Prämie unverzichtbar sei, dann klingt das unglaubwürdig. Der Preis für das schlechte Gewissen dürfte höher liegen. Doch kann man über solche Ungereimtheiten hinwegsehen, es berührt die Anlage des Stücks im Grunde nicht.

Es hätte also ein großartiger Theaterabend werden können, doch die 105 Minuten tropften tatsächlich zäh die Bühne hinab. Konflikte, die das Potenzial gehabt hätten, die Abgründe der menschlichen Seele zu offenbaren, wurden schablonenhaft abgespult, nur unterbrochen von gefühlt minutenlangen Pausen in denen schlicht nichts passierte. Am Anfang war es noch spannend, als die Schauspieler erstmal mehrere Minuten nur so herumstanden. Fast so, als wollten sie die Zuschauer zu Fangt-doch-endlich-an-Rufen provozieren. Ich mag solches interaktive Spiel. Und auch als es dann mit einem Telefonat begann, bei dem zwei Protagonisten ihr Handy ans Ohr halten, aber nur der eine spricht („Ja“, „mach ich“, „also“, „wenn Du meinst“, … ), dachte ich noch, dass es interessant werden würde. Aber es waren nur Gimmicks, Regiespielereien ohne Bezug zum Stück. Lediglich der einsame Spannungsbogen, wie wohl die Wahl ausgehen würde, hielt das Stück wie ein klebriges Kaugummi zusammen. (Ich verrate das Ende nicht, sonst wird das Stück für die, die es noch anschauen wollen, völlig uninteressant.)

Woran liegt so etwas? Sicherlich nicht an der phantasievollen Bühnengestaltung von Bernd Schneider und seinen Kostümen. Schneider hat zwei drehbare Häuser auf die Bühne gebracht und so ist es möglich, Sandras viele Arbeitskollegen in ihren jeweiligen Privatquartieren zu zeigen. Überhaupt gelingt es den wenigen Schauspielern, gut durch die vielen Rollen zu gleiten, ohne dass man verwirrt wird.

Woran also liegt es, dass die Schauspieler blass und farblos wirken, dass es einen nicht mitfiebern lässt, obwohl jeder schon länger Berufstätige das Damoklesschwert der Arbeitslosigkeit als Sorge um den Arbeitsplatz kennengelernt haben dürfte? Auch und gerade in Konstanz ist das Wegfallen von Industriearbeitsplätzen eine Konstante und Einzelhandel und Gastronomie kein vollwertiger Ersatz. Auch Sandras Depression wird dargestellt und jedem, der schon mal damit konfrontiert war, dürften die Dialoge bekannt vorkommen. Doch reicht Nichtgeschehen auf der Bühne nicht um Antriebslosigkeit darzustellen. Sandras seelische Kämpfe werden nicht erkennbar.

Ich kann nur spekulieren. Dem Stück liegt ein gleichnamiger Spielfilm zugrunde und es wirkt manchmal so, als wäre man bei der Übertragung von der Leinwand auf die Bühne zu schablonenhaft vorgegangen. Wo man im Film möglicherweise mit einer Großeinstellung des Gesichts die Schwere der Depression in den leblosen Augen sichtbar machen kann, darf man nicht glauben, dass, wenn die Person minutenlang auf dem Theaterboden liegt, ein ähnlicher Effekt erreicht würde. Das permanente Monologisieren in die Mobiltelefone mag eine Seuche der heutigen Zeit sein, aber es lenkte lediglich vom Inhalt des Stückes ab. Vielleicht hätte Martin Nimz mehr Vertrauen in die Kraft der Dialoge setzen sollen und diese ins Zentrum stellen. Insofern lenkte auch die opulente Bühnentechnik letztlich vom Inhalt ab.

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