Glückliche Tage

Nur eine Kleinigkeit, aber sie stört.

Foto: Bjørn Jansen

Seit Franziskus – Gaukler Gottes bin ich ein absoluter Fan von Renate Winkler. Sie ist eine großartige Schauspielerin. Im Franziskus konnte sie allein den ganzen Kirchenraum bespielen und ich war gespannt, wie ihr die Rolle der Winnie gelingen würde, denn eingegraben bis zur Hüfte in einen Erdhügel, wie die Anweisung des Autors das Setup vorgibt, verliert die Schauspielerin viel von ihren Ausdrucksmöglichkeiten.

Becketts Stück hat eine deprimierende Anlage: Winnie ist eingegraben und Willie, ihr Partner, kann sich zwar frei bewegen, doch davon macht er wenig Gebrauch. Während Winnie ununterbrochen auf ihn einplappert, versteckt sich Willie größtenteils und antwortet, wenn überhaupt einsilbig und mürrisch. Doch Winnie ist glücklich, entschuldet jede Ungebührlichkeit und ist mit den kleinsten Reaktionen zufrieden. „Oh, du wirst heute mit mir sprechen, das wird ein glücklicher Tag werden! Es wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein“. Ohne Pause redet Winnie, packt ihre Tasche aus, Haarbürste, Sonnenschirm auch ein Revolver geben ihr Anlass, über ihr Leben zu reflektieren, wobei natürlich nicht zur Sprache kommt, wie furchtbar und sinnlos ihr Leben ist.

Der zweite Akt ist, ähnlich wie bei „Warten auf Godot“, eine Wiederholung des ersten, nur eine Umdrehung schrecklicher, sinnloser. Nun steckt Winnie bis zum Hals im Erdhügel. Ich glaube, sie sagt nichts, was sie nicht im ersten Akt schon gesagt hatte, es ist eine ewige Wiederholung des Gleichen. Zusammen sind es eigentlich nur zwei Bilder. Das Stück kommt mir eigentlich gar nicht wie ein Theaterstück vor, es gibt keinen Anfang und kein Ende, nur ein unendliches Jetzt. Winnies Agieren ist wie das Ausmalen eines vorgegebenen Bildes. Ich stelle es mir wie ein Gemälde im Museum vor.

Es ist ein bemerkenswerter Blick auf das Leben, das Beckett entwirft. Ohne Sinn steckt der Einzelne in seinem Leben fest. Kommunikation mit anderen ist lediglich Illusion, alles Glück nur mühselig gespielt. Das Stück entstand 1960 und ist wohl vom Existenzialismus beeinflusst. Die Menschen scheinen nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs in eine Welt ohne Hoffnung geblickt zu haben. Es ist die Frage, warum wir uns eigentlich den Mühen des Lebens aussetzen sollen, warum sich nicht jeder bei der ersten größeren Krise die Kugel geben sollte. Eine Welt ohne Gott oder Transzendenz, der Mensch als Zellhaufen und mit einem Gehirn, dass die Illusion von Zeit, Sinn und Zweck produziert – da bleibt eigentlich keine andere Wahl als der Selbstmord bei erster Gelegenheit. Jedem philosophisch Denkenden dürfte dies schon mal durch den Kopf gegangen sein. Doch aus irgendeinem Grund sind wir nicht in dieser Phase stecken geblieben, individuell wie auch gesellschaftlich. Warum auch immer.

Renate Winkler und Thomas Ecke spielen überzeugend; die Rolle des Willie ist natürlich nicht so anspruchsvoll. Etwas irritiert aber dennoch: Winnie ist nicht eingegraben. Die Bühne ist kein Erdhaufen, sondern auf ihr liegen große Platten wild geschichtet. Es sieht aus wie nach einem Erdbeben oder in einem Kriegsgebiet, erinnert an Bilder wie beispielsweise aus Syrien. Das – finde ich – passt durchaus zum Stück. Doch auch wenn Winnie in die Platten nicht eingegraben werden kann, hätte sie wenigstens eingeklemmt sein können. Der Regisseur, Wolfram Mehring, wollte das wohl nicht. Winkler bewegt sich sichtbar hinter ihrer Platte und offensichtlich würde sie nichts daran hindern, einfach ihren Platz zu verlassen. Nun mag man denken, im Gefängnis steck nicht der Körper, sondern ihr Kopf, der es ihr nicht erlaubt, die Freiheit zu ergreifen, das „alte Leben“ wieder aufzunehmen. Vielleicht wollte Mehring darauf hinaus, doch das wäre eine ganz andere Ausgangssituation für das Stück, das zu ganz anderen Monologen führen würde. Es ist nur eine Kleinigkeit, aber ich fand sie durchweg störend.

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