Hermann der Krumme

Coronatheater

Foto: Ilja Mess

Nach einer guten Stunde erlöschen die Scheinwerfer und coronaabstandsbedingt tröpfelnder Applaus schwillt an. War das alles? Das Stück hat doch noch gar nicht richtig begonnen? Ganz zu Ende ist es tatsächlich nicht, denn der Chor gibt noch eine, vermutlich geplante, Zugabe. Dafür gibt es Zusatzapplaus, völlig zu Recht, denn der Gesang der Männer und Frauen von der Münstermusik Konstanz in den schwarzen Gewändern und der Kinder mit den weißen Hemden und den schwarzen Hosen ist ein Highlight der Aufführung. Leider können einen die Choräle nicht ganz in die Stimmung des tiefen Mittelalters um 1050, die Zeit Hermanns ziehen. Polizeisirenen und Touristengeschnatter dringen deutlich in den licht bestuhlten Zuschauerraum.

Das Ende des Stücks könnte eigentlich der Beginn der Handlung sein. Alles bis dahin gleicht einer ausgedehnten Exposition. Wir sehen die Figuren kurz auftreten und sich ein-, zweimal vorstellen und so wissen wir, dass Hermann von seinem Vater, dem Grafen Wolfrad von Veringen ins Kloster gegeben wurde, weil er sich seines krüppeligen Sohnes schämte – natürlich gegen die üppige Mitgift mehrerer Ländereien. Wir lernen seine Mutter kennen, die noch mütterliche Gefühle hegt, den Abt Berno, der ihn väterlich fördert, dessen korrupten Nachfolger Udualrich, der ihn verachtet, und so weiter und wir erfahren, dass die Mönche auch anfällig waren für weltliche Gelüste, dass sie ihre Machtposition gegen Fürsten und Könige verteidigen mussten und dass die Reichenau ein europäisches Zentrum der Klosterwelt war.

Auch von Hermann sehen wir Facetten seiner Persönlichkeit: Er ist klug, fördert die Wissenschaft, hält die Erde für rund, dichtet, komponiert schöne Lieder, traut sich, dem Abt zu widersprechen, ist aber zutiefst barmherziger Mönch und ermahnt seine Brüder auch dem offensichtlich zerstörerischen Kurs des neuen Abtes gehorsam  zu dienen. Körper und Geist Hermanns sind auf zwei Schauspieler aufgeteilt, Tänzer Mike Planz und Schauspielerin Sarah Siri Lee König, was ich für eine gelungene und gelungen umgesetzte Idee halte.

Also, ein prima Anfang, aber wo ist das Drama? Denn was soll es sonst sein, sicherlich kein absurdes Theater à la Warten auf Godot. Wo es keine Entwicklung gibt, gibt es auch keinen Raum für die Schauspieler, ihr Können zu zeigen. Harald Schröpfer als Wolfrad beispielsweise, rennt mehrfach schreiend über die Bühne und markiert damit, dass seine Figur dumm, geistverachtend, herrschsüchtig und unbeherrscht ist. Aber das bleibt rein plakativ, so als würde ein angeschossener Soldat aua rufen und sagen, „mir tut es weh!“. So wirken alle sprechenden Schauspieler trotz ihres heftigen Agierens schal und farblos. Ohne Dramaturgie ist wohl mehr nicht möglich.

Der Abt Bruno macht etwas Entwicklung durch, das stimmt. Er fördert Hermann, er weist ihn zurück, als dieser Kritik äußert, er bittet dann wieder um Entschuldigung, als Hermann den Mönchen seine Barmherzigkeit gegenüber der von seinem Vater schwer geschädigten Bauersfrau zeigt und der Abt seine Hochmut, seine Herrschsucht erkennt. Doch auch dieses Geschehen bleibt viel zu abstrakt, als dass der Zuschauer in einen Konflikt hineingezogen würde, dessen Resonanzboden Peter Cieslinski aufgreifen könnte.

Trotzdem ist es schön, dass Christoph Nix dieses Theaterstück auf die Bühne gebracht hat. Mit der Figur des Hermann hat er eine interessante Person vorgestellt und die Verbindung zwischen ihm und Stephen Hawkin, zwei in ihrem kranken Körper eingeschlossene Geistesgrößen, regt zu weiterem Nachdenken an.

Es sind immer noch Coronazeiten und darum ist es auch Coronatheater. Man steht in lockeren Grüppchen plaudernd auf dem Münsterplatz mehr oder weniger eng beieinander, um dann von dem freundlichen Personal zum Mundnasenschutzanlegen aufgefordert und in einen Vorbereich der Bühne zum Abstandsitzen geführt zu werden. So sitzen denn alle auf Bänken in Coronadistanz mit Gesichtsmaske und später dann auch noch mit Plastiküberzug; letzterer aber nicht wegen der Seuche, sondern wegen des Regens. Dann im Gänsemarsch zur Zuschauertribüne auf die Plastikstühle, die in ordentlichem Sicherheitsabstand festgeschraubt sind, auf dass niemand kontaminierte Aerosole zu seinen Nachbarn atmet. Beim dem dritten Gong ertönt die Ansage, die es erlaubt, den Mundnasenschutz abzutun. Nach dem Ende des Stücks die umgekehrte Prozedur, bis man wieder maskenbefreit draußen zusammensteht und in eine nahegelegene Gaststätte zieht, um eng beieinandersitzend das Stück nachzubesprechen.

Es sind komische Zeiten. Als viele Menschen sich vorsichtshalber isolierten und Masken nähten, redeten die Ämter noch über das Verbot von Fußballspielen und die Sinnhaftigkeit einer 1000er-Grenze. Heute, wo es quasi keinen bekannten Infizierten im Landkreis gibt und Tausende eng an eng gegen den in unserem Lande grassierenden Rassismus demonstrieren, unterwerfen sich die Theaterbesucher einem strengen Hygieneregime.

Doch denken wir zurück an die Diskussion um die Erlaubnis, dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Es schien zu der Zeit, und das ist nicht lange her, aberwitzig und schon fast verantwortungslos von unserem scheidenden Intendanten, für die Aufführung zu kämpfen. Wie gut, dass er es gemacht hat, nicht jeder hätte dazu die Traute gehabt. Wenn das Stück selbst vielleicht nicht Nix‘ krönender Abschluss seiner 14-jährigen Amtszeit ist, die Aufführung zu realisieren ist es.

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