Wein und Brot

…gibt’s nur daheim

So schnell kann es gehen. Am Donnerstagmorgen hatte ich entschieden, wegen des Coronavirus‘ nicht in die Premiere von Wein und Brot zu gehen und dachte, ich müsse das vielleicht begründen, denn man wird schnell als panisch verlacht. Zwei Tage später sieht alles ziemlich anders aus. Wer will, darf gerne lesen, was ich mir am Donnerstag zurechtgelegt hatte. Was mir vorgestern noch neu war, ist nun bald Allgemeingut.

Foto: Ilja Mess

Warum sollte man also alle öffentlichen Veranstaltungen meiden? Ein Grund ist der Selbstschutz, man will sich nicht infizieren. Das ist offensichtlich und wichtig vor allem für Ältere und Menschen mit Vorerkrankungen. Das ist eigentlich offensichtlich und zu meinem Leidwesen gehöre ich, wie die meisten Bekannten und Freunde, in diese Gruppe.

Der andere Grund aber ist, die Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus zu reduzieren. Also nicht die Ausbreitung zu verhindern; diesen Kampf haben wir in Deutschland erst gar nicht ernsthaft aufgenommen. Jetzt ist der Virus halt da und etwa 70% von uns werden sich infizieren, das gilt als sicher. Es geht um die Geschwindigkeit, infizieren sich die meisten in den nächsten drei Monaten oder kann der Zeitraum auf 9 – 12 Monate gestreckt werden. Da geht es nicht um die Sorge um uns selbst, sondern um Sorge und Rücksichtnahme auf andere, vor allem Schwächere.

Warum ist das mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit wo wichtig? Es geht darum, dass nicht zu viele die Krankheit gleichzeitig haben, denn dann ist unser Krankensystem überfordert. Mich ärgern diese Sprüche, von wegen „bestens vorbereitet“, „hervorragendes Gesundheitssystem“. Das ist Unfug. Selbst wenn es so wäre, dass die jahrzehntelangen Sparmaßnahmen zu einem tollen Gesundheitssystem geführt hätten und der Fachkräftemangel für Krankenhäuser nicht gilt – selbst dann ist die Kapazität begrenzt.

Nehmen wir beispielsweise Beatmungsgeräte der Plätze auf der Intensivstation. Es gibt nur eine bestimmte Menge sagen zwanzig im Krankenhaus Konstanz. Die sehr schweren 5% der Fälle brauchen eine künstliche Beatmung zum Überlegen. Wenn es nun zwanzig solcher Kranken gibt und der 21te kommt, wird er entweder weggeschickt oder die Verantwortlichen entscheiden, einen anderen Patienten abzustöpseln, vielleicht weil seine oder ihre Heilungschancen ohnehin gering sind. Man nennt diese Entscheidungsprozesse „Triage“ und sie sind auch für das Krankenhauspersonal kein Vergnügen. In Italien ist man soweit und die psychische Belastung der Angestellten ist wohl schlimmer als die extreme Arbeitsbelastung.

Man liest unterschiedliche Sterberaten für Covid-19, von 0,5% bis 4%. Der Grund für diese Unterschiede dürfte genau darin liegen: Funktioniert die ärztliche Versorgung noch oder nicht. Ab einer bestimmten Menge an Infizierten kann auch das beste Gesundheitssystem nicht mehr standhalten. Und, das sollte man sich klarmachen, 1% für Konstanz heißt 560 Menschen, 4% heißt 1700. Ein Verein, wie die Theaterfreunde Konstanz mit überwiegend älteren Mitgliedern, wird einige Opfer zu beklagen haben. Auch in meinem weiteren Bekanntenkreis werden Menschen sterben.

Rechnen wir mal versuchshalber weiter. Und bleiben wir bei der Annahme von zwanzig Beatmungsgeräten oder Intensivbetten. Wie gesagt, ich kenne die Zahl nicht und man muss bedenken, dass es weiterhin normale medizinische Notfälle gibt. Was ich wichtig finde, ist, wie man sich das vorstellen muss. Wenn man das richtige Rechenmodell im Kopf hat, schaut man genauer auf die veröffentlichten Zahlen.

Wenn also nicht mehr als zwanzig Patienten in Konstanz gleichzeitig diese extremen Krankheitsverlauf haben dürfen: Wie vielen dürfen dann die Krankheit haben? Nun, es heißt 5% der Erkrankten haben den schweren Verlauf. Das heißt, es dürfen maximal 4.000 Konstanzer am SARS-Cov-2 Virus zeitgleich erkranken, bevor die Sterberate unnötig ansteigt.

Nun werden, etwa 70% der Konstanzer am Virus erkranken. Macht also etwa 56.000 Frauen, Männer und Diverse. Wenn die Krankheit ungefähr zweieinhalb Wochen anhält, von Ausbruch bis Heilung oder Tod, müsste man die Ausbreitung über 35 Wochen strecken (56.000 / 4.000 * 2). Also etwa neun Monate. Das muss man erreichen.

Das Problem ist die exponentielle Ausbreitung, Verdoppelung der Fallzahlen jede Woche, oder so ähnlich. Und das Blöde ist, dass man nicht weiß, wie viele Menschen infiziert sind. Die 2.000 in Deutschland, die es Stand heute sind, oder die 2 in Konstanz, sind ja nur die, bei denen die Krankheit ausgebrochen ist und bei denen sie diagnostiziert wurde. Die 2000 oder die 2 haben das Virus natürlich schon lange weitergegeben und wenn es in ein paar Tagen heißt, wir haben 8 Fälle in der Stadt, dann waren die schon heute infiziert. Man hat diese Verzögerung in Wuhan sehr deutlich gesehen. Nachdem die drastischen Maßnahmen ergriffen wurden, stiegen die Fallzahlen noch 10 oder 12 Tagen an, bevor sie sanken.

Und was es bedeutet, dass das Virus als sehr ansteckend gilt, dürfte auch nicht schwer zu verstehen sein. Wenn sich heute ein Doppelkopfrunde trifft und eine Person ist infiziert, werden sich die anderen drei mit hoher Wahrscheinlichkeit auch infizieren. (Es sei denn, sie waschen sich vor jedem Austeilen der Karte die Hände, was man ja immer vom Kartengeber fordert, wenn man schlechte Karten bekommt. Soviel für die, die den alten Skatspruch noch kennen.)

Aus diesen Gründen meide ich jetzt öffentlich Veranstaltungen, wenn es sich einrichten lässt. Darum auch halte ich die Maßnahmen der Regierung für viel zu lasch. Und das mit dem „Es ist Ländersache“ ist eine dumme Ausrede. Merkel hat sogar eine Landtagswahl rückgängig machen lassen.

Ich finde, man sollte sich nicht der Illusion hingeben, vor dem Virus gefeit zu sein. Dass er nur alte weiße Männer befallen würde, wie kürzlich auf dem KIZ-Konzert unter Gröhlen des Publikums verkündet wurde, kann nur einem kranken Hirn entspringen. (Eine Denkfigur, die selbst auch eine Seuche ist.) Nein, auch Bio-Essen schützt nicht. Jung sein, ja. Je jünger desto ungefährdeter. Hoffentlich sind nur wenige so zynisch, sich über sterbende Alte zu freuen, sei es, weil es die Rentenkasse entlastet, sei es, dass Wohnungen frei werden, sei es, dass es die AFD-Wählerbasis schmälert. Alles leider schon auf Twitter gelesen.

Also Leute hört auf den OB, der meiner Meinung nach gut agiert. Und schaut ab und zu hier nach.

Hier zur Webseite des Theaters

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