Dosenfleisch

Oder gekochter Spinat?

Das gibt es ja durchaus. Dass man irgendwas einfach nicht mag. Zum Beispiel Spinat. Oder Zwölftonmusik. Man muss ja nicht alles mögen. Eigentlich wollte ich nichts zu dem Stück schreiben.

Aber man kann sich trotzdem die Mühe machen und fragen, warum man etwas nicht mag. Ist es der eigenartig stumpfe Geschmack am Spinat, oder ist es, weil er so labberig im Mund liegt und oft kalt ist, wenn er etwas länger auf dem Teller liegt? Wenn man sich das dann so fragt, kann es passieren, dass man eine Idee bekommt, wie man ihn anders zubereiten könnte oder dass man ihn mit bestimmten Zutaten kombinieren könnte. Es kann sich also lohnen, über das „gefiel mir nicht“ hinauszudenken.

Mein erster Eindruck war, und auch mein zweiter, dass das Stück selbst fad ist, also der Text, den der Autor zur Verfügung gestellt hat. Ich hatte den Namen Ferdinand Schmalz noch nie gehört. Das will nicht viel heißen, ich habe viele Namen noch nie gehört. Er hat schon Preise gewonnen, heißt es. Das soll aber auch nicht viel heißen. Claas Relotius hatte auch Preise bekommen. Wir leben ja in einer Zeit, in der sich das Verhältnis von Gesinnung und Haltung gegenüber Leistung und Qualität verschiebt und ganze gesellschaftliche Gruppen dank Twitter oder Facebook sich, ohne es zu merken, in Blasen isolieren – da ist mein Vertrauen in Jurys und Preise schon etwas erodiert.

Es stehen also vier Schauspieler auf der Bühne und sprechen die Texte von Ferdinand Schmalz. Beate, die Betreiberin einer Autobahnraststätte, deren Elternhaus der Autobahn weichen musste, Jenny, die Schauspielerin, deren makelloser Körper einem Unfall zum Opfer fiel und die der Raststättenbetreiberin auf irgendeinem Rachefeldzug folgt; dann ist da der Versicherungsbeauftragte Rolf, der sich an der Sinnlosigkeit seiner Büroarbeit abarbeitet und schließlich der namenlose Fernfahrer.

Jeder der vier bekommt seine Monologe, doch sind sie irgendwie blutleer. Beispielsweise der Fernfahrer, der von dem Dilemma erzählt, dass ein Unfall oder Stau dazu führt, dass er es nicht mehr nach Hause schafft und wegen des Nachtfahrverbots auf der Autobahn, statt daheim bei der Familie, schlafen muss. So what? Andere haben’s auch nicht leicht. Ich kann mir diese Situation durchaus als Bühnendrama vorstellen, aber da muss dann mehr passieren als so ein bisschen Gerede. Ich meine, Schmerz drückt man auch nicht aus, indem man „Aua“ sagt.

Es fallen nachdenkenswerte Sprüche: „Wir sind doch alle teil eines viel größren unfalls“, „im ende sind wir alle unfälle, mehr nicht.“ oder „falsch abbiegen und doch richtig sein“. Schmalz hat da bestimmt kluge Gedanken eingebaut, aber die rauschen so vorbei, verbinden sich nicht mit einer Handlung, die ihnen Gewicht geben würde. Auch schön, wie sich das Dosenfleisch durchs Stück zieht: einmal im Wortsinn, als Ware, die vom verunglückten Lastwagen fällt, einmal als Metapher für verunglückte Menschen im Auto und dann noch als Chiffre für tiefgefrorene Körper, die bei Geheimdienstoperationen frische Leichen vorgaukeln sollen.

Also: Da sind kluge und auch kunstvolle Textpassagen, aber die PS kommen nicht auf die Straße, um in der Autobahnmetaphorik zu bleiben. Vielleicht liegt es an der verqueren Sprache. Wenn der Versicherungsmann Rolf Sachen sagt wie: „…versucht zu lindern man den schmerz des einzelschicksals so.“ erinnert er an Yoda im Krieg der Sterne („Viel zu lernen du noch hast.“). Bei George Lucas ergibt das noch Sinn, aber wozu in diesem Stück?

Aber viel mehr gestört hat mich, dass es keine richtige Interaktion auf der Bühne gab. In den Dialogen reden die jeweils beiden eigentlich immer aneinander vorbei. (Mehr als zwei reden, wenn ich mich richtig erinnere, sowieso nie miteinander.) Die Schauspieler geben ihr Bestes, schien mir, aber der Text gibt nicht viel her. Man kann ja mutmaßen, dass das die Isolation der Menschen in der heutigen Zeit zeigen soll. Aber das muss man sich dann alles im eigenen Kopf ausdenken, wozu dann die Schauspieler?

Mit Sicherheit hat aber auch unser bundeseinheitliches Hygieneregime seinen Anteil an dem uninspirierenden Geschehen. Die Schauspieler müssen ja immer noch einmeterfünfzig Abstand halten, können und dürfen sich nicht berühren.

Überhaupt! Da geht man an den Biergärten vorbei, wo die Fußballfans sich vor den Großbildschirmen drängen und versuchen, nach 16 Monaten Pandemie und bei einer Inzidenz von knapp über null, mal wieder so etwas wie Normalität zu erleben und landet im Theater mit Mundnasenmaske am Kopf, sitzt in einer großen Halle auf weit verteilten Stühlen und schaut Schauspielern zu, die sich und uns fernbleiben und symbolträchtig in die vor den Mund gehaltenen Mikrofone sprechen. Ich hatte den Eindruck, die anderen Zuschauer waren auch froh, zügig in den lauen Sommerabend zurückzukommen, und begrenzten ihren Applaus aufs Minimum.

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