Animal Farm

Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!

Der Vorstand der Theaterfreunde teilt sich die Moderation der pro.loge auf. Auf mich fiel das Los und die Ehre, Fachvortrag und Diskussion zu Animal Farm zu moderieren. Zu dem Zeitpunkt hätte ich wenig mehr über den Roman von George Orwell zu referieren gewusst, als den Satz: Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher. Ein gerne gewähltes Zitat, um Doppelmoral zu geißeln. Erst durch den Wikipedia-Eintrag habe ich gelernt, dass die Tierfabel ein quasi getreues Abbild der Sowjetgeschichte von der Revolution bis in den Stalinismus ist. Jedes Detail, steht für ein konkretes geschichtliches Ereignis, jedes Tier für eine konkrete Person der Sowjetgeschichte oder für eine Gruppe der Gesellschaft (Arbeiter, Bauern, Bourgeoisie und so weiter).

Dies wissend, habe ich dann immer wieder überlegt, wie man so eine Fabel heute auf die Bühne bringen könnte. Würde man sie an das Zeitgeschehen adaptieren? Doppelmoral ließe sich reichlich aufspießen. Seien es Politiker, die vor der Wahl das eine sagen und nach der Wahl das „360°“ Entgegengesetzte zu tun. Oder junge Aktivisten, die nach getaner Protestarbeit, dem frönen, was sie der Gesellschaft vorwerfen. Auch dafür, wie sich die unterschiedlichen Tiere gegenüber dem immer massiver werdenden Unterdrückungsregime verhalten, könnte man aus den zwei Jahren Pandemie vielleicht Anknüpfungspunkte finden. Aber selbst, wenn man solche Aspekte aufgriffe, bliebe völlig unklar, wie man all die feinsinnig von Orwell entworfenen Details in so ein Setting hätte unterbringen können. Aber eine studierte und erfahrene Theaterregisseurin wie Franziska Stuhr, hat sicherlich ganz andere Ideen und Möglichkeiten, und ich war gespannt, wie das Stück werden würde. Vielleicht würde sie die menschliche Seite in den Vordergrund rücken. Wie wird aus einem genügsamen Schwein ein Oberschwein im Schweinesystem? Was geht da in der Person vor? Was geht in den Pferden und Kühen vor, die nach und nach merken, dass ihre Träume verraten werden? Das wäre ein universeller Gesichtspunkt, der sich in der Geschichte wiederholt.

Und tatsächlich, unser Theater hat keinen Zeitbezug hergestellt. Die Bühne ist abstrakt gehalten, ein leichtes Maschinenklopfen deutet den Takt der Arbeit an, die darin besteht, große Säcke von einem Ende der Bühne in die andere zu schleppen. Die Schauspieler tragen Arbeitskluft. Das ist ein gelungenes Bild und die Bewegungen der Schauspieler bekommen etwas Tänzerisches. Auch lustige Regieeinfälle sind zu verzeichnen. Jonas Pätzold als Napoleon bittet einen Mann aus den Zuschauerreihen kurz mitzuspielen, weil man für die Szene einen Menschen bräuchte. Er steht dann auf der Bühne und wird mit Szenenapplaus bedacht wird. (Merke: Die Plätze am Ausgang sind risikobehaftet!) Auch Anlass zur Erheiterung gibt es, wenn Thomas Jung als Mollie sich unter die Zuschauer begibt und um ein Stück Zucker bettelt. 

Doch leider hat die Schauspielerei bei mir keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Napoleon war weder angsteinflößend noch einschmeichelnd als Väterchen Stalin. Karl Marx‘ Vermächtnisrede wollte mich nicht vom Sitz zur Revolution reißen. Man sah zwar, dass die „Tiere“ schwer an ihren Säcken zu schleppen hatten, aber Mitleid ob ihrer verzweifelten Lage, wollte sich nicht einstellen. Domink Puhl als Schwatzwutz konnte ich zeitweise wegen seiner überzeugenden Verlogenheit und offenen Demagogie hassen, auch in Miguel Jachmann als Boxer konnte ich mir bekannte Charaktere wiedererkennen, die sich aufopfern ohne zu erkennen, wie sie ausgebeutet werden. Und auch Luise Harder als Schneeball hatte überzeugende Momente. Doch insgesamt hat es nicht ausgereicht, um ein Erlebnis auszulösen. Es hat mich nicht berührt.

Nun stellt sich die Frage, ob das vielleicht am Stück liegt. Orwells Buch erschien 1945. Noch in den zwei Jahrzehnten danach, waren viele Menschen davon überzeugt, dass der Sozialismus der Sowjetunion die Menschen vom schweren Los des Kapitalismus‘ befreit hat. „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ lasen die DDR-Bürger zu jener Zeit auf Transparenten. Erst sehr allmählich wurden die Menschen im Westen desillusioniert und die 68er-Studentenbewegung orientierte sich langsam um, zuerst am Vorbild China, dann Kambodscha, dann Albanien, Nicaragua – ich habe irgendwann den Überblick verloren.

Als das Buch erschien, war die Fabel mutige Aufklärung und Gegenerzählung. Das Motto lautete: Leute, glaubt nicht der kommunistischen Propaganda, die Wirklichkeit ist nicht Befreiung und Wohlstand, sondern Unterdrückung und Elend. Doch heute ist der Drops gelutscht, wie man so sagt. Heute möchten viele Menschen keinen weiteren Versuch, die sozialistische Utopie zu verwirklichen. Warum sollte man die Orwell-Geschichte also noch einmal erzählen? Als Warnung an die junge Generation? Dann reicht es nicht mehr, alles unverändert auf die Bühne zu bringen. Man muss dann eine Lehre daraus ziehen, sei es dahingehend, dass man die Signale erkennt, wenn sich das Schweinesystem wieder etabliert oder dass man lernt, wie man dem Irrweg entkommt, wenn er erst einmal beschritten ist. Beides ist aber nicht ohne Änderung am Stoff zu haben.

Vielleicht liegt es also an der Vorlage und ihrem historischen Kontext, dass keine großen Gefühle aufkamen. Vielleicht hätte aber eine andere Besetzung, beispielsweise mit Odo Jergitsch als Napoleon, einen anderen Eindruck hinterlassen.

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