Der eingebildet Kranke

Witz komm raus, Du bist umzingelt!

Man kennt das von Witzen. Worüber die einen lauthals lachen, gähnen die anderen oder schauen indigniert zur Seite. Bei Komödien ist es vielleicht ähnlich. Während ich einige Stimmen gehört hatte, die sich an der Aufführung des Molière-Stücks erfreuten, konnte ich selbst nur einige wenige Male lächeln und war damit nicht allein. Die Geschmäcker sind halt verschieden.

Es ist schon ein ordentliches Spektakel, dass die Regisseurin Christina Rast auf den Münsterplatz bringt. Sarah Borchardt hat sehenswerte Phantasiekostüme schneidern lassen. Da schaut man neugierig hin, auch zweimal. Aber die Schauspieler tragen diese Fummel und die wirren Haare zweieinhalb Stunden lang und je länger man sie sieht, desto sinnloser wirken sie. Auch das ständige Geschrei und die exaltierten Bewegungen sind anfänglich belebend, aber auf die Dauer dann doch ermüdend. Effekte leben vom Kontrast.

Die kontinuierlich volle Lautstärke des Stücks machte es den Schauspielern schwer, ihre Kunst wirkungsvoll zu entfalten. Maëlle Giovanetti war, nicht ganz unerwartet, das große Highlight. Ihre Rolle als Dienstmädchen Toinette, die ihr auf den Leib geschrieben schien, erlaubte ihr im Stück zu schauspielern, wenn sie beispielsweise den vermeintlichen Tod des Hausherrn betrauert oder den 90-jährigen Doktor spielt. Dieses Spiel im Spiel brachte Abwechselung. Auch die Passage, als die sich Liebenden Angélique (Lea Reihl) und Cléante (Miguel Jachmann) ihr Liebesduett sangen, war so ein Spiel im Spiel, und schuf einen Kontrast, der belebend wirkte.

Was ohne jeden Abstrich zu loben ist, war die Musik von Patrik Zeller in Zusammenarbeit mit unserem musikalischen Leiter Rudolf Hartmann. Mal jazzig, mal romantisch, oft schräg und auch ohrwurmig begleiten vier Bläser das Stück und unterstützen die Schauspieler in ihren Gesangseinlagen.

Vom guten Spirit unseres Theaterteams zeugt der kreative Umgang mit dem Unglück von Ioachim-Willhelm Zarculea. Der hatte sich nämlich kurz vor der Premiere den Fuß heftig verstaucht und konnte nicht mehr laufen. Was tun bei einem Stück, dass in den größten Teilen auf einer Art Hochbett in zwei Metern Höhe spielt? Die Lösung war die, dass Zarculea auf einem elektrischen Rollstuhl unter großem Applaus auf die Bühne fuhr und den Sprechpart übernahm, und statt seiner eine Regieassistentin auf dem Hochbett agierte. Sicherlich wäre ein ungeteilter Zarculea besser gewesen, aber es hat erstaunlicherweise funktioniert. Gute Besserung!

Der eingebildet Kranke ist der Inbegriff des Hypochonders. Regisseurin Christina Rast und Dramaturgin Doris Happl haben an Molières Text Hand angelegt und viele Begriffe der heutigen Zeit eingeworfen. Wenn von Faszien oder Physiotherapie gesprochen wird, kommt ein frisches Element in die Aufführung. Aber es reicht nicht, um wirklich über die dunklen Abgründe eines Gesundheitssystems nachzudenken, das Kranke für Unternehmensprofite braucht und sie auch produziert, beispielsweise durch die Festlegung allerlei Grenzwerte wie für Cholesterin.

Da hätte man schon deutlicher werden müssen. Und, wenn man mal nachdenkt, drängt es sich geradezu auf, das Pandemiegeschehen der letzten Jahre als Hypochondrie der Gesellschaft aufzuspießen. Menschen wurden von einer Virusvariante zur nächsten von einer Trinität aus Politik, Medien und Pharmakonzernen in Angststarre gehalten und ließen Maßnahmen über sich ergehen, deren gesellschaftliche und gesundheitliche Kollateralschäden erst so nach und nach sichtbar werden. Gegen die Mischung aus Angst und Isolation, die für Hannah Arendt zu den Ingredienzien totalitärer Herrschaft gehören, hat unsere Gesellschaft wenig Resilienz gezeigt. Aber, ich muss zugeben, das wäre harter Tobak gewesen, vor allem, weil man kaum mehr weiß, wo die Grenze zwischen Mainstream, Verschwörung und Populismus verläuft. Aber ein paar Nachdenktupfer hätten man als Kontrast zum Klamauk, dem die Bühne beim Sommertheater gehören sollte, setzen können.

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