State of the Union

Sex ist nicht alles, aber ohne Sex ist alles nichts

Wir sehen, wie eine Ehe vor dem Abgrund in zehn Therapiesitzungen zu neuer Blüte erwacht. Allerdings sehen wir nicht die Sitzungen, sondern das Treffen von Louise und Tom im Warteraum vor der Therapeutin. Es ist eine Liebesgeschichte mit viel Humor und etlichen Kalauern.

Es ist eine rundum gelungene Inszenierung unter der Regie von Abdullah Karaca und es ist seine zweite in diesem Jahr, nach „Morgen ist auch noch ein Tag“ im April. Eigentlich spielt das Stück des britischen „Erfolgsautors“ Nick Hornby in einer Kneipe. Elena Scheicher hat sich für ein Wartezimmer in einer abgeranzten Büroumgebung mit drei Sitzen  und einem Wasserspender  entschieden. Es ist eine gute Wahl, finde ich. Wenn man sich auf Youtube die Trailer anderer Inszenierungen anschaut, scheinen die Requisiten eher abzulenken. In Karacas Version ist alles auf die beiden Schauspieler konzentriert. Und die machen ihre Sache brillant.

Die beiden Figuren des Zweipersonenstücks sind vom Autor sehr spannend entworfen. Es ist kein ganz alltägliches Paar, entspricht nicht ganz den gängigen Konventionen, aber man kennt ihre Eigenschaften. Louise (Anna Eger), Ärztin in der Geriatrie, ist fremdgegangen und drängt nun auf die Therapiesitzung. Tom (Patrick O. Beck), arbeitsloser Musikkritiker, geht unwillig mit. Er ist sowohl verletzter Macho, depressiv, kurz vor dem Zynismus und gleichzeitig ein großer Romantiker, ein Träumer. Louise dagegen ist sachlich, nüchtern, fleißig und bestreitet das Einkommen für das Paar und die beiden Kinder.

Louise beklagt den fehlenden Sex in Ehe. Dass sie klagt, heißt offensichtlich, dass bei ihm die Libido versiegt ist, doch ganz so einfach verhält sich die Sache natürlich nicht, wie es sich bald zeigt. Warum Louise so vehement den nicht stattfindenden Geschlechtsverkehr beklagt, ist am Anfang nicht klar zu erkennen. Sie wirkt nicht wie der Typ einer sexbesessenen Frau. Eher würde ein medizinischer Blick auf die Ehe zu ihr passen: Sex muss sein, genauso wie regelmäßiges Trinken und Stuhlgang. Dass es um den Wunsch nach Anerkennung geht, stellt sich im Laufe des Stücks heraus.

Wir hatten die Gelegenheit mit Patrik O. Beck über die Herausforderungen des Stücks zu sprechen. Mit nur zwei Personen auf der Bühne darf kein Fehler passieren, jeder Dialog muss sitzen. Lediglich die kurzen Pausen zwischen den Sitzungen, in denen die beiden hinter den Milchglasscheiben der Bühne tanzen oder rennen oder anderweitig die Zwischenzeit visualisieren, geben den Schauspielern einen Moment zum Sammeln und dem Publikum bei großartiger Musik eine Pause, um die wie in einem Florettkampf aufgeworfenen Gedankenfäden einzusammeln.

Beck betonte, wie wichtig es sei, dass die Pointen exakt sitzen, denn jede Szene kippt beständig das Gleichgewicht der Figuren in eine neue Lage. Er war sichtlich beglückt, nach dem langen Probenprozess vor Zuschauern, die zu keinem Lacher mehr fähig waren, endlich vor echtem Publikum spielen zu können. Er erzählt, wie er die Stimmung im Saal aufgreifen und in das Spiel integrieren kann. Ja, das ist die Magie, die Netflix nicht bieten kann.

Jeder, der eine längere Ehe geführt hat, und das dürften die meisten im Publikum gewesen sein, wird ständig denken: „Das kenne ich!“ Es ist erholsam, das Geschlechterverhältnis so frei von ideologischem Ballast aufgedröselt zu bekommen. Denn in wirklichen Beziehungen treffen sich Menschen und keine Vertreter irgendwelcher Genderideologien. Und so wie jeder Mensch anders ist, ist jede Beziehung anders und jede Krise findet eine eigene Lösung. Tom und Louise wollen ihren Sex, den sie am Ende wieder finden, wie einen kumpanenhaften Ausbruch aus dem Ehealltag zelebrieren.

Warum nicht?

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