Verdeckter Spendenaufruf unseres Theaters?
Ein Liederabend steht auf dem Programm und es ist auch ein schöner Abend mit Liedern. Wobei es sich für mich falsch anhört, bei Jazz von Liedern zu sprechen. Aber Namen sind ja Schall und Rauch (wieso eigentlich Rauch?) und die Musiker verschaffen den Zuhörern einen Genussabend, der sie in die Zeit zurückführt, in der sich die Musik schwarzer Amerikaner zu Welthits emanzipierte.
Unter der Leitung von Rudolf Hartmann spielt eine routinierte Band (Frank Denzinger, Thomas Förster, Arpi Ketterl, Benjamin Engel, Carlo Schöb) und schafft die Bühne für Terrence Ngassa, der laut Programmheft als einer der besten Trompeter Afrikas gilt und für die international bekannte Jazzsängerin Siggy Davis. Ngassa spielt nicht nur die Trompete wie Louis Armstrong, sondern er singt auch mit dessen tiefer Reibeisenstimme. Ngassa musiziert nur, Armstrongs Theaterspiel wird von Ramses Alfa übernommen, eine naheliegende Wahl. Davies verkörpert Armstrongs verschiedene Musikpartnerinnen wie Ella Fitzgerald, sowie Armstrongs heimliche Tochter Sharon Preston-Folta.
Die Freude, den Musikprofis zuzuhören wird nur durch die schlechte Tontechnik getrübt. Als O’tooli Masanza am Anfang des Stücks eine Ansage im Piratensender des Armstrong-Museums machte, dachte ich noch, dass Rumpeln wäre in Authentizitätsabsicht, doch schnell wurde klar: Hier kommt das Equipment unseres Theaters an Grenzen. Es ist schon ein Jammer, wenn Davis’ Improvisationen in einem akustischen Sumpf zerfließen. Das haben unsere Bühnengäste nicht verdient! Auch die Sprechpartien leiden arg, manche Passagen waren kaum zu verstehen. Bei den Headsets verwundert es mich weniger, es ist ja ohnehin ein Wunder, dass die kleinen Dinger an der Backe überhaupt was vom Gesprochenen mitbekommen. Aber wenn Musiker in ein Mikrofon singen, kann es nicht am Stand der Technik liegen, wenn nur dumpfe Töne über die Lautsprecher zum Zuhörer kommen. Dabei schien es mir, als gäbe es Unterschiede, je nach verwendetem Mikrofon. Man konnte in den letzten Monaten häufig über die baulichen Mängel an unserem Theater in der Presse lesen. Vielleicht wäre die Tontechnik eine viel niedriger hängende Frucht. Spenden sind sicherlich willkommen.
Als Liederabend also mal wieder eine gelungene Aufführung der Konstanzer, wenn man über die akustischen Mängel hinweghört. Aber es ist gar kein Liederabend, gefühlte fünfzig Prozent des Abends wird auf der Bühne geschauspielert. Die Rahmenhandlung spielt um den Besuch von Armstrongs Tochter im zum Museum umgebauten alten Wohnsitz ihres Vaters herum. So recht wollen meines Erachtens Text und Musik nicht zusammengehen und ich habe mir dann die Frage gestellt, wie es denn überhaupt so funktioniert, wenn Handlung und Gesang in ein Gesamtkunstwerk verschmelzen. Welche Funktion übernimmt die Musik in Opera Buffa, Operette, Singspiel oder Musical? Vermutlich gibt es dazu Myriaden von Abhandlungen, von denen ich nur eines sicher sagen kann, dass ich sie alle nicht kenne. Doch kann ich sagen, dass alle Lieder, die mich in diesen verschiedenen Formen ergriffen haben und die mir in Erinnerung geblieben sind, einen Kulminationspunkt der Handlung mit den Mitteln der Musik ausdrücken. Wenn beispielsweise die Königin der Nacht in der Zauberflöte ihrer Tochter das Messer in die Hand drückt, um Sarastro zu ermorden, offenbart sie in Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen die ganze Wut und Hass über ihre verlorene Macht und die Männerwelt.
Diese Synthese von Text, Handlung und Musik konnte ich in Mark Zurmühles Inszenierung nicht im Ansatz finden. Vermutlich ist schon der Versuch zum Scheitern verurteilt. Armstrongs Lieder lassen sich nicht zu einer Handlung zusammenstricken. Zurmühle hatte es vielleicht auch gar nicht intendiert. Jedenfalls habe ich zwei unabhängige Aufführungen gesehen: Ein Theaterstück und einen Liederabend.
So gelungen das Musikprogramm war, so schwach war das Theaterspiel. Ja, es wurden die wichtigen Themen und Stationen in Armstrongs Leben benannt: Seine Herkunft aus dem Rotlichtmilieu New Orleans, seine Entwicklung vom Bandmitglied zum Gründungsvater des Jazz, seine musikalischen Innovationen, sein Abgleiten in Pop und Kommerz, der Wandel der Musik durch die Schallplatte, sein Kampf für die Rechte der Schwarzen (oder sein Nichteinsetzen dafür), seine Instrumentalisierung für das weiße Establishment (und sein Widerstand dagegen), seine Frauengeschichten, seine Lebensfreude. Alles wurde irgendwie angesprochen, aber nicht so ausgeführt, dass man sich zu irgendeinem Zeitpunkt mit der Hauptperson identifizieren konnte. Wenn man Schmerz ausdrücken will, reicht es halt nicht, wenn der Schauspieler „Aua, das tut weh“ sagt. Die vielen Themen ließen aber nicht mehr Platz, also steckte hier das Misslingen schon im Ansatz. Dazu kam die Entscheidung, Sally Davis Deutsch sprechen zu lassen. Sie kann es und amerikanische Aussprache für einzelne Phrasen kann effektvoll sein („Ich bin einer Börliner“), aber auf Dauer ist es nur umständlich und gibt der Rolle etwas Unbeholfenes, das man gar nicht sehen will. Warum es nicht bei Englisch belassen und ein paar Untertitel einblenden?
Fassen wir also so zusammen: Ein gelungener Liederabend, vor allem für Jazzliebhaber.