Die dunklen Winkel der menschlichen Seele
Wenn man über ein Theaterstück (oder auch Kunst im Allgemeinen) spricht, wird häufig nach einem tieferen Sinn gesucht: „Was wollte uns der Autor damit sagen?“, lautet die meist unausgesprochene Frage. Die Antworten sind oft so etwas wie, dass Menschen korrupt sind, dass der Klimawandel ein Problem oder Populismus gefährlich ist. Also irgendwelche Dinge, die als wichtig angesehen oder als von universeller Bedeutung erachtet werden. Ich frage mich dann, warum der Autor oder Regisseur oder wer auch immer, das dann nicht einfach so sagt. Warum muss man dazu ein Theaterstück aufführen?
Es fühlt sich etwas falsch an, ein Theaterstück auf eine Mitteilungsformel zu reduzieren. Wenn ich es drastisch ausdrücken wollte, würde ich sagen: Wenn man Theater so sieht, versteht man dessen Kern nicht. Und wenn man so Theater macht, ist es ein Jammer. Ich finde, Theater ist zuallererst ein Erlebnis. Film ist auch ein Erlebnis, aber Theater ist besonders, weil man keine Leinwandkonserve sieht, sondern der Inszenierung beiwohnt. Das Vibrieren der Stimmlippen wird von der Luft ins Zittern der Innenohrhärchen übersetzt. Seele knüpft sich an Seele.
Als Erlebnis hat Theater durchaus transformatives Potenzial, wie jedes Erlebnis. Ich bin schließlich nur wenig mehr als die Summe meiner lebenslangen Erlebniskette. Manche Erlebnisse sind dabei nachhaltiger als andere. Wenn ein Theaterstück aber nachhaltig wirken soll, muss es tief in mich eindringen, an etwas anknüpfen, das Teil meiner Persönlichkeit ist. Und dann kann es eigentlich keine plumpe Allerweltsbotschaft sein, sondern muss subtiler, persönlicher sein.