Wer hat Angst vor Virginia Woolf

Den Schleier zerreißen

Wenn man über das Verhältnis von Theatertext zu Aufführung nachdenkt, stößt man schnell auf zwei Möglichkeiten. Den Text kann man verstehen als mehr oder weniger geschickt arrangierte Schablonen, in die die Schauspieler ihr kunstvolles Spiel hineinlegen, die sie zum Leuchten bringen. Und nicht nur sie, auch für Bühnenbild und Kostüme, für das ganze künstlerische Drum und Dran ist der Text eine Einladung, sich zu entfalten. Man kann es aber auch andersherum sehen. All das Geschehen, die phantasievollen Aufbauten, all das Spielen auf der Bühne ist nur Mittel zum Zweck. Es dient nur einem, nämlich den Text wie ein Juwel erstrahlen zu lassen. Bestenfalls agiert das Ensemble aus dieser Perspektive wie ein Diamantenschleifer, der dem Rohdiamanten die schillernden Facetten verpasst.

Diese Dichotomie aufzumachen heißt zugleich, sie zu begraben. Natürlich ist es immer beides zugleich. Lediglich als Zuschauer darf man sich der einen oder anderen Seite zuschlagen. Meist will ich mich vom Spiel der Schauspieler verzaubern lassen. Doch bei diesem Stück war ich ganz auf seiten des Textes. Das heißt mitnichten, dass mir das Spiel nicht gefallen hat, es verschwand hinter dem Gespielten. Vielleicht ist das die wirkliche Schauspielkunst, nämlich dass man nicht guckt, wie die Künstler spielen, sondern vom Spiel gefangen wird.

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