Nathan

…und das nicht so weise Stadttheater Konstanz

Gestern Abend war Premiere von „Lebenshunger“ und weil ich dazu nicht viel zu sagen habe, will ich jetzt meine Anmerkungen zum Nathan loswerden.

Vorab kurz zum Tanztheater „Lebenshunger“. Das war schön, sogar ein wenig eindrucksvoll. Es wurde moderne Musik gespielt, eine Mischung aus E-Musik und Pop mit Übergängen zur Sound-Art. Ich mag das. Dazu sechs junge, athletische Körper, deren Bewegungen zwischen Zärtlichkeit und Gewalt changieren. Irgendetwas wie Handlung konnte ich nicht ausmachen, aber das hat mir nicht gefehlt. Was mich im Nachhinein erstaunt hat, war, dass ich alles völlig unerotisch fand. Nicht dass ich das gebraucht hätte, aber irgendwie schon bemerkenswert, wenn drei Männer und Frauen über eine Stunde lang ihre Körper aneinander tanzen und sogar alle sechs in Löffelchenstellung den Gruppenschlaf zelebrieren, dass das so entsexualisiert sein kann. Nun ja, ich kann’s auf jeden Fall empfehlen.

Dann also zum Nathan. Die Premiere ist ja nun schon eine Weile her. Das Stück kann ich auch empfehlen, es ist gut gemachtes Theater. Mein „Aber“ kommt gleich, sollte aber niemanden von einem Besuch abhalten.

Was die Konstanzer ja wirklich gut draufhaben, sind Inszenierung und Bühnengestaltung. Das Stück spielt in der Spiegelhalle und das Publikum wird zunächst in drei Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe sieht die drei Anfangsszenen einzeln im Foyer oder an den Bühnenrändern. Das ist mal was anderes. Als Zuschauer steht man fast neben den Schauspielern und kriegt tatsächlich einen ganz anderen Eindruck als beim distanzierten Blick auf die Bühne.

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Jesus Christ Superstar

Jesus in einer säkularen Gesellschaft: Da ist der Kitsch ganz nah

Foto: Bjørn Jansen

Die Handlung dürfte dem Leser bekannt sein – bis hinein in kleine Details. Die Leidensgeschichte Jesu vom Einzug in Jerusalem bis zum Tod am Kreuz wurde den schon länger hier Lebenden im Schul- und Religionsunterricht und vielfach auch im Elternhaus nahegebracht. Diese Erzählung, die den Glauben von über zwei Milliarden Menschen begründet, für den profanen Unterhaltungsbetrieb zu nutzen, ist mit mehreren Problemen gespickt. Denn selbst für den, der sich schon früh von der Kirche abgewandt hat, beispielsweise in der Zeit als Jesus Christ Superstar uraufgeführt wurde, ist der Stoff mit vielen Bedeutungen aufgeladen. Und darum werden nur die Wenigsten bei Jesus im Garten Getsemani an einen Menschen denken, der plötzlich Schiss vor der eigenen Courage bekommt. Vielmehr werden die meisten den Bezug zum Schicksalszweifel herstellen, der auch gläubige Christen in Zeiten von Not befällt und hier von Gottes Sohn prototypisch durchlitten wird.

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Die Farbe des Lachens

Großartige Regie und grandiose Schauspieler machen auch ein schwaches Stück zum Highlight

Foto: Bjørn Jansen

Auf der einen Seite gibt es ein Stück, auf der anderen Seite die Aufführung. Eine schwache Inszenierung kann ein gutes Stück kaputtspielen. Ein gutes Ensemble kann aber auch ein mittelmäßiges Stück zu einem Juwel transformieren. Genau das durfte ich bei der Premiere von „Die Farbe des Lachens“ genießen.

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Der Meister und Margarita

Pralle Bilder, beeindruckende Schauspieler, blödes Begleitheft

Foto: Ilja Mess

Ich muss vorwegschicken, dass „Der Meister und Margerita“ von Michail Bulgakow zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählt, eines auf der Liste für die einsame Insel. Da ist man natürlich immer schnell von einer Umsetzung als Film oder Theaterstück enttäuscht. Doch hier war es anders, die Aufführung war gewissermaßen das Buch in Kurzfassung. Mehr noch als das: Die Darbietung der Konstanzer Schauspieler, die durchweg überzeugen konnten, haben mir einige Szenen ernsthafter erscheinen lassen (und das wohl zu Recht), als ich dies aus dem Buch erinnert hatte.

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Alla Fine del Mare

Mit vollem Mund singt man doch!

Es ist doch so: Ein Fußballspiel der örtlichen B-Jugend kann spannender sein, als ein abgebrühtes Gekicke in der Champions-League. Herzblut und Engagement sind oft sehenswerter als Geld und Können. Und aus diesem Grund gehe ich gerne ins Konstanzer Stadttheater und verzeihe gerne, wenn das eine oder andere nicht ganz so perfekt gelingt, wie an den großen Häusern. Vielleicht sogar so: Eben weil das eine oder andere Mal zu sehen ist, dass die Schauspieler an ihre Grenzen kommen, kann man die erbrachte Leistung umso überzeugter würdigen.

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Der Gute Mensch von Sezuan

Wo wird denn eigentlich das Theater gespielt, auf der Bühne oder im Reichtstag?

Wer Sorge hat, bei der Konstanzer Aufführung vom Guten Menschen von Sezuan von Brecht’scher Bühnendidaktik in alte Schulaufsatzqualen zurückversetzt zu werden, kann beruhigt sein. Das Stück kommt locker und modern daher. Auf der Bühne werden Pop-Songs geschmettert, die Gestaltung ist edel in Schwarz und Weiß gehalten und mit Rauch und akustischen Effekten wird nicht gespart. Und wenn die Schauspieler plötzlich streiten und so tun, als seien sie sich uneinig, wie eine Szene zu spielen sei und wenn der Inspizient auf die Bühne kommt und die Schauspieler in ihre Rollen zurückschiebt, dann denken wir: ja, das ist Brecht, und freuen uns über die gelungene Auffrischung seines V-Effekts. Und damit ist dann auch alles gut, wie uns die Schauspieler beim Verlassen des Theatersaals noch einmal zeigen, wenn sie nach dem Applaus auf der Bühne mit Sektgläsern anstoßen und ihr gelungenes Spiel feiern.

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Angst essen Seele auf

Hatte die Dramaturgin nicht mitbekommen, dass sich Deutschland in den letzten 40 Jahren verändert hat?

Leicht hätte die Aufführung in die Hose gehen können, hätten nicht so viele Schauspieler Röcke getragen. Ungefähr diese Art von Klamauk ist es, mit der das ansonsten unveränderte Fassbinderstück aktualisiert wurde.

Doch – das gilt es ausdrücklich festzustellen – ist dies den Konstanzern vorzüglich gelungen. Wie hier auf einer fast requisitenfreien Bühne in schneller Abfolge Kostüme und Rollen gewechselt wurden, hat schon große Klasse. Das Umkleiden geschieht auf offener Bühne und trotz der dabei entstehenden Hektik bleibt man als Zuschauer ganz im Geschehen gefangen und verliert nie den Faden. Wunderbar ist auch, wie sich die Männer in Miniröcken und Stöckelschuhe bewegen können. Die in der Fasnet vorherrschende Ungelenkheit von Männern in Frauenklamotten ist offensichtlich nicht genetisch verankert. Gratulation an Schauspieler, Ausstatter und Bühnenbildner!

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Rassen

Theater Konstanz brandaktuell: Zum neuen Stück „Rassen“ von Ferdinand Bruckner

Das neue Stück am Theater Konstanz ist auf bemerkenswerte, nämlich doppelte Weise aktuell. Es zeigt drei befreundete Studenten in Deutschland des heraufziehenden Nationalsozialismus.

Zunächst zur Dramaturgie. Bei Inszenierung und Bühnenbild liegt der Standard in Konstanz schon immer hoch, aber diesmal hat das Team die Latte noch einmal höher gelegt. Die Bühne aus Stahl und Neonröhren verstärkt die bedrohlichen Tänze der weißgewandeten Faschisten. Besser kann man es nicht machen. Leider können die Schauspieler diesen Ausdruckslevel nicht erreichen; man kann nicht alles haben und eine Schauspielerliga auf der Höhe von Inszenierung und Bühnenbild würde wohl Größenordnungen über dem liegen, was unser Theater zahlen kann.

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Onkel Wanja

Mit „Onkel Wanja“ von Anton Tschechow ist dem Konstanzer Stadttheater eine gute und zugleich fragwürdige Aufführung gelungen. Beginnen wir mit dem Positiven.

Das Stück handelt von Menschen, die sich mit der Tragik ihres verpfuschten Lebens auseinandersetzen. Die kurze Zusammenfassung auf der Webseite des Theaters gibt den Inhalt des Stückes gut wieder:

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Ein Volksfeind

Dem heimischen Stadttheater ist mit seiner Inszenierung von Ibsens Volksfeind zum ersten Mal gelungen, dass ich nach dem Stück mindestens genauso heftig über die Mechanismen unserer Gesellschaft wie über die Logik des Stücks debattiert habe. Die Leistung der Schauspieler war nur am Rande ein Thema und das ist vielleicht das Besondere: Sie haben etwas transportiert und sich nicht selbst produziert. Vielleicht soll Theater so sein.

Johannes Bruggaier vom Südkurier knüpft in seiner Besprechung  an die Radikalisierung der Pegida-Bewegung an. Daran hätte ich zwar nicht im Entferntesten gedacht. Aber so ist das mit guten Stoffen – jeder entnimmt ihnen etwas (anderes). Auch ich musste an die zunehmende Verschärfung des gesellschaftlichen Diskurses denken, die wir momentan erleben. Und darum geht es in dem Stück. Aktualität ohne verkrampfte Aktualisierung – noch ein Kompliment, das ich loswerden muss.

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